Widersprüche

Etwas wir, ungeordnet und noch unfertig:
Widersprüche
Schwaches Licht fällt auf die leere Straße. Ich gehe schnellen Schrittes an Straßenlaternen vorbei und beobachte meinen Schatten dabei, wie er größer und kleiner wird. In meinem Kopf rotieren die Gedanken. Wieder einmal bin ich über etwas Absurdes gestolpert. Eine Ausstellung die in diesen Tagen im örtlichen Freiraum gezeigt wird. Unter dem Titel „Vermummt und Gewaltbereit“ zeigt die Rote Hilfe Repression und Polizeigewalt auf. Vermummt und Gewaltbereit. Attribute die immer wieder gerne „linken Krawallmachern“ angeheftet wird. Vermummt und Gewaltbereit. Menschen die ein paar Mal Auf Demos gegen Nazi-Aufmärsche waren wissen auf wen das noch zutrifft. Menschen die ihr Gesicht vermummen und für ihre Gewalt gefürchtet werden. Menschen die sich gleichartig kleiden (in den letzten Jahren hauptsächlich in Schwarz) und in Gruppen auftreten. Was sie von jenen zu erst genannten unterscheidet? Das staatliche Monopol für Gewalt. Um das möglichst effizient durchsetzen zu können rüsten sie sich mit Körperpanzerung, Helmen, Knüppeln, Pfefferspray und einer Schusswaffe aus. Greift die erst genannte Gruppe mal zu Regenschirmen, Tüchern, etwas kürzeren Fahnen oder einem lockeren Stück Straßenbelag ist das Geschrei groß.
Am Stammtisch (hier als Synonym für das Aufeinandertreffen mehrerer privilegierter Bürger_innen) wird über jene „linke Krawallmachern“ gerne als asoziale, menschenverachtende und gefährliche Individuen geredet. Was aber, wenn eben jene wissen würden, dass diese „linken Krawallmacher“ häufig in sozialen Berufen arbeiten, Erzieher, Pädagogen und Pflegekräfte sind? Wenn sie wüssten, dass wir unsere Kämpfe führen um eine gerechte und soziale Gesellschaft zu erstreiten, in der niemand unterdrückt wird?
Was wäre, wenn sie wüssten, dass wir jede Form von Unterdrückung als Gewalt empfinden und sie verabscheuen?
Wenn sie wüssten, dass wir Staaten, Nationen und Kapital als unterdrückend empfinden und uns deswegen davon befreien wollen?
Wenn sie wüssten, dass unser Ziel nicht das Chaos ist, sondern eine andere Form der Ordnung?

Das mag für sie widersprüchlich klingen. Wie kann jemand Gewalt verabscheuen und dann doch Gewalt anwenden? Jemand der im täglichen Leben strukturelle, institutionelle, verbale, nonverbale und körperliche Gewalt erlebt kann nicht immer weglaufen, flüchten oder sich nicht wehren. Und dennoch ist das dann für diese Person selbst ein Widerspruch der an ihm nagt.

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Es ist die Wut, die wir teilen, aber die Liebe, die uns verbindet.

Endlich. Was im Oktober 2008 mit ein paar hingeschmierten Zeilen in einem Notizbuch begann und sich im Sommer 2012 zu einer konkreten Idee wandelte ist nun im April 2014 abgeschlossen.

„Es ist die Wut die wir teilen, aber die Liebe, die uns verbindet“ – 72 Seiten Text, die Geschichte einer Bezugsgruppe im Wirbel zwischen Nazis, Staat und der verschwiegenen Familiengeschichte:

Es ist die Wut die wir teilen aber die Liebe die uns verbindet (pdf, 812 kB)

Hier ist die Geschichte zum downloaden, lesen, verändern, vervielfältigen, kritisieren oder umschreiben.

Vorwort

In den letzten Jahren bin ich von vielen Menschen immer wieder gefragt worden was ich denn  da tue, wenn ich Zeit in sog. „linken Freiräumen“ verbringe, auf Demos gehe oder mich an Aktionen beteilige um Naziaufmärsche oder  -treffen zu verhindern und mehr. Wenn ich dann begann zu erklären was ich da so mache und warum ich das tue wurde ich immer wieder mit Aussagen wie „Rechte und Linke sind beide gleich schlimm“ oder „Aber ihr Linken seid doch auch gewalttätig“ konfrontiert. Die Diskussionen und Gespräche endeten meist damit, dass mich meine Gesprächspartner_innen für einen komischen Kauz oder verstrahlten Idealisten hielten. Ein richtiges Verständnis für mein Handeln konnte ich nicht so recht vermitteln, was sicher auch daran lag das ich über viele Dinge nicht offen sprechen konnte.  Irgendwann begann ich mit den ersten Entwürfen für einen Erklärungsversuch in Romanform. Die hier erzählte Geschichte basiert auf Erzählungen, eigenen Erlebnissen, Presseberichten  und auch auf Ängsten und Befürchtungen. Die Akteure in dieser Geschichte sind fiktiv. Der Kontext in dem sie agieren, ihre Erfahrungen und Handlungsweisen sind es nicht.

Ich habe diesen Text in der Hoffnung verfasst, dass eben jene Menschen mit denen ich diskutiert habe  und viele weitere Menschen ein Verständnis für das entwickeln was Aktivist_innen täglich im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und für eine herrschaftsfreie Welt leisten.

Selbstverständlich konnte ich im Rahmen dieses Textes  nur einige Aspekte dieses Handelns thematisieren. Der Text ist  so verständlich wie möglich geschrieben. Deswegen habe ich auf das szenetypische Gendern verzichtet, solange es nicht in den Kontext passt.

Dieses Projekt wäre ohne die Hilfe vieler Menschen nicht möglich gewesen. Ich bedanke mich an dieser Stelle besonders bei:

Alice, Ein_Poesiealbum, Chaos, Claus, fuckoffcontrol, Potter, Zero, der Bezugsgruppe Taxi und dem Rest des nicht ganz so anonymen Zirkels.  Ihr habt mich motiviert, gestützt und mich mit eurer Kritik immer wieder zum Nachdenken gebracht. Danke!

Ein besonderer Dank geht an K, die in dieser Geschichte eine ganz eigene Rolle spielt und mir die Kraft gab, dass ganze niederzuschreiben, sich immer wieder meine Ideen anhörte  und mir ihre schonungslose Kritik um die Ohren gehauen hat. Mange tak!

 

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Steiler Hang

„Ich wird‘ langsam zu alt für diese Scheiße“ – Ein Gedankengang der sich bei mir immer häufiger einschleicht. Die immer gleichen Konflikte, die gleichen Argumente, das immer gleiche Patt nach hitzigen Diskussionen. Große Euphorie, gemeinsame Aktion, gemeinsam Scheitern. Been there, done that. Im Umfeld die Entwicklungen jüngerer Menschen beobachten, parallelen zum eignen Weg ziehen, sich die mahnenden Worte, die auf der Zunge liegen verkneifen.

Was ist das? Der erste Schritt zur Resignation? Weisheit?

Zeitgleich aber am eigenen Weg noch knabbern, keine Perspektive sehen, Optionen ausprobieren, scheitern, von vorne beginnen.

Wohin soll es denn gehen, wenn der eine bereits gewählte Weg so steil und steinig war, dass ich stürzte und mich vom Fall noch immer nicht erholt habe? Auf ihm weiter gehen, in der Hoffnung dass nach dem steilen Hang irgendwo eine Spitze ist, von der sich ein Ausblick bietet?

Was wenn ich feststelle das von der Spitze aus nur eine Wüste zu sehen ist? Oder ein weiterer steiler Hang?

Muss ich den Weg alleine gehen? Muss ich Angst haben die Begleiter auf meinem Weg irgendwann zu verlieren? Werde ich dann nur noch mehr Zweifeln, erneut fallen?

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Formen des Widerstands

Manchmal frage ich mich ja, ob das was ich tue das richtige ist. Zweifel, Reflektion. Irgendwo in weiter Ferne ist ein Ziel. Eine Utopie, ein Traum. Ein Traum, den so oder ähnlich schon viele Menschen vor mir hatten, viele mit mir und ganz sicher auch viele Menschen noch haben werden, wenn meine Überreste irgendwo vermodern. Auf dem Weg dorthin gibt es viele Schrauben an denen gedreht, Zahnräder die blockiert, oder Dinge niedergerissen werden müssen. Alle Menschen mit denen ich diesen Traum teile haben unterschiedliche Vorstellungen welches Zahnrad zu erst blockiert werden muss, welche Dinge so schnell wie möglich niedergerissen werden müssen. Decken sich diese Vorstellungen, so kann man gemeinsam anfangen Dinge zu verändern.

Aber auch darüber hinaus gibt es viele Punkte an denen man ansetzen kann. Eine Umwälzung der Gesellschaftsverhältnisse kann weder von einem einzelnen Ort aus geschehen, noch gibt es eine einzige Idee oder einen einzigen Weg mit dem das erreicht werden kann. Genau diese Vielfalt ist es, die ich schätze.

Die einen denken vor, diskutieren und prüfen ihre theoretischen Ideen mit anderen, andere versuchen über direkte Aktionen und Sabotage einen Teil beizutragen. Wieder andere drücken ihre Träume und Ideen in Bildern, Liedern oder Texten aus oder arbeiten mit den Menschen in ihrem Viertel, Dorf und Kiez an konkreten sozialen Problemen. Manche unterstützen den gemeinsamen Traum auch nur finanziell,  weil andere Dinge in ihrem Leben wichtiger geworden sind.

Weder kennen wir uns alle untereinander, noch sind wir uns alle in den Mitteln unseres Widerstands einig und der gleichen Meinung erst recht nicht.

Nur manchmal erkennen wir uns an Symbolen, gesprochenen Worten oder den gezeigten Formen des Widerstands. Momente in denen uns bewusst wird das wir niemals alleine sind in unserem handeln und träumen. Momente in denen wir merken das wir unserem gemeinsamen Ziel vielleicht schon ein Stück näher sind als gedacht.

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Freude in euren Augen

„Ist ja nur mein Job.“

„Das ist geltendes Recht“

„Ich mach die Vorschriften ja nicht.“

„Ich will Menschen helfen.“

Das sind Eure Wort, spreche ich euch auf das an was ihr tut. Nun steht ihr da, den Stahlzaun im Rücken, den Nato-Draht über euren Köpfen. Mit kaltem Blick mustert ihr mich, während hinter euch mehr als Hundert Menschen in das Flugzeug gedrängt werden. Sie dürfen hier nicht sein, müssen zurück in die Gefahr, die Armut aus der sie geflohen sind. Dahin schiebt ihr sie zurück. Wir machen Lärm, rufen ihnen etwas zu, sie winken bevor sie den Blick traurig abwenden und die Gangway hinauf geschoben werden. Wir konnten sie nicht erreichen, konnten euch nicht hindern an dem was ihr tut.

Das Flugzeug rollt schließlich zur Startbahn und hebt ab. Niedergeschlagen ziehen wir ab, ihr lauft hingter uns her, lächelt grinst, macht eure Witze. Unsere wütenden Rufe verhallen, ersticken in Wut und Hass.

Ich sehe in eure Augen, sehe darin unausgesprochene Worte. „Endlich geschafft“ – „Erfolgreicher Einsatz“

Nur in diesen Kategorien denkt ihr – und ich zweifle wiedereinmal am Guten im Menschen.

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Viel zu selten

In dieser kalten, hektischen und wettbewerbsorientierten Welt tun wir vieles viel zu selten.

Zu sehr sind wir eingespannt in den Schraubstock unseres täglichen Lebens.

Viel zu selten wagen wir den Ausbruch daraus.

Viel zu selten nehmen wir die Menschen wahr, die uns auf unseren Wegen begleiten und Rückzugsorte schaffen.

Viel zu selten schätzen wir die kleinen Momente unseres persönlichen oder gemeinsamen Glücks.

Ein Gespräch, das von tiefem Vertrauen geprägt ist,

Ein Blick der Kraft gibt,

Eine gemeinsame Aktion, ganz egal ob sie erfolgreich ist oder nicht.

Viel zu selten halten wir inne und nehmen wahr was wir schon erreicht haben.

Viel zu selten bemerken wir wie wir uns gegenseitig verändert haben.

Viel zu selten sagen wir dafür Danke.

Viel zu selten nutzen wir diese Momente um Kraft zu sammeln für den Weg der vor uns liegt.

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Wellen – Oder: Pflasterstein auf Asphalt

Wellen habe ich schon immer gemocht. Ihre Schaumkronen, das Tempo in dem sie auf das Ufer zupreschen, das Rauschen wenn sie über den Sand brausen und schließlich brechen. Die Gischt, die an stürmischen Tagen durch die Luft gewirbelt wird und die Salzkruste die sich auf den Lippen bildet.

All das geht mir durch den Kopf, während ich am Ufer entlang gehe. Der asphaltierte Weg ist an einigen Stellen unterspült worden, hat den Asphalt aufgebrochen und Pflastersteine aus der Uferbegrenzung gerissen.  Die letzten Spuren der Herbststürme die nun eilig behoben worden, bevor die Touristen kommen. Ich nehme einen Stein auf, wiege ihn in meiner Hand. Er fühlt sich schwer an. Schwerer als andere Steine, die ich in der Hand hatte. Die Oberfläche ist abgeschliffen.  Auf der Unterseite spüre ich Zacken die auf meine Handfläche drücken. Ich stelle meine Füße voreinander und balanciere mein Körpergewicht aus. Dann habe ich den Arm hinter meinen Kopf und schleudere den Stein nach vorne. Er gewinnt an Höhe und fliegt in einem Bogen nach vorne. Mit einem lauten Klackern landet er auf dem Asphalt, prallt ab und kommt hüpft noch einen Meter weiter, bevor er liegen bleibt. Das Geräusch hallt in meinem Kopf wieder. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Dieses Geräusch war Teil unzähliger Albträume in den vergangenen Monaten. Dieses Geräusch. Massenhaft, gemischt mit dem Scheppern splitternder Flaschen, Explosionen, lauten Rufen und dem klatschen von Schlagstöcken und behandschuhten Fäusten auf Körpern. Geräusche zu Szenen die mich nächtelang immer wieder heimsuchten.  Das Geräusch der Sirenen, die mich noch immer Zusammenzucken lassen und Adrenalin in mir freisetzen. Ein einzelner Tropfen Schweiß rinnt meine Stirn hinab. Noch immer. Noch immer löst es Reaktionen in mir aus. Noch immer ist dieser Gefühls-Mix aus Hilflosigkeit, Angst und unbändiger Wut in mir präsent und verschafft sich von Zeit zu Zeit Raum. Er kommt schnell, prescht heran und bricht schließlich unter lautem Tosen in meinem Kopf.

 

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Spagat

Mein Leben hat vor ein paar Jahren eine Wende erfahren. Ich musste einige schwere Erfahrungen machen, die mich nachhaltig geprägt und verändert haben. Meine Sicht auf mich selbst als Menschen, als handelndes Wesen und die Sicht auf die Welt um mich herum haben sich dadurch radikal verändert. Erkenntnis, geprägt durch eigenes Erleben und Bestätigung dieser Erkenntnisse durch das Erleben anderer. Während dieses beginnenden Prozesses wandten sich Menschen von mir ab, zu anderen kappte ich die Verbindung. Neue Menschen traten in mein Leben. Gemeinsame Erfahrungen, gemeinsames Lernen. Irgendwann war nichts mehr wie vorher. Aber so richtig passte ich nicht mehr in die Gesellschaft. Meine Erfahrungen und das erlernte deckte sich nicht mit dem, was die Gesellschaft erlernt hat, was sie einfordert und erwartet.

Es ist ein Spagat der mir zunehmend schwerer fällt. Zwei Gesichter, zwei Identitäten die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwei Identitäten, die immer häufiger verschwimmen.

Leistungsdruck, Erwartungen vom Geld ansammeln, vom „Platz in der Gesellschaft einnehmen“, die an mich heran getragen werden.

Ein Leben ohne Perspektive, ohne Träume.

Ist das alles?

Bis jeder Tag dem anderen gleicht.

Gefangen in den immer wiederkehrenden Routinen.

Den Ausbruch daraus an wenigen Tagen im Jahr. Auf der Suche nach was eigentlich?

Um sich selbst noch etwas zu beweisen?

Ohne Menschen die genau so empfinden.

Gefangen in den Fängen der Strukturen des eigenen Lebens, bis es eines Morgens nicht mehr hell wird.

Diese Gesellschaft da draußen ist nicht die meine!

 

 

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Traumata. Erkennen. Benennen. Drüber reden.

„Ey, der Bulle hat die Latte voll an den Helm bekommen.“

„Ja! Alter, richtig übel fand ich’s als der Typ mit den Golfbällen ankam.“

Gespräche wie diese höre ich immer wieder. Manchmal ertappe ich mich auch dabei wie ich Teil davon bin. Die Freude an der Gewalt. Schadenfreude und das erinnern an Momente der Gegenwehr gegen einen Staat der uns immer wieder gewaltsam gegenüber tritt. Aber nur selten höre ich Gespräche wie diese:
„Als die Cops dich dann hochgerissen haben und du geschrien hast, das war schwer für mich.“ Immer wieder begegne ich auch Menschen in „der Szene“ oder darüber hinaus, die von den Erlebnissen auf Demonstrationen, Aktionen oder im Umgang mit der Staatsmacht traumatische Erfahrungen gemacht haben. Auch ich habe einige dieser Erfahrungen machen müssen. Ja, machen müssen. Das ist Teil des Problems.

Als politisch aktiver Mensch begibt eins sich immer wieder in Situationen die traumatisierend sein können. Die Motivationen dafür das zu tun können ganz unterschiedlich sein. Im Moment in dem eins sich in diese Situationen begibt erscheint es aber meist als „das Richtige.“

Das erste mal „gepfeffert“ werden, der Polizeiknüppel („Mehrzweckrettungsstock“ im Beamtendeutsch) der uns trifft, von den Cops durch die Straßen gejagt werden, Schmerzgriffe um Sitzblockaden aufzulösen. Dies sind Beispiele für direkt erlebte Gewalt. Aber auch Gewalt beobachten zu müssen kann traumatisierend sein. Eingeengt in einer Menschenmenge, während weiter vorne der Wasserwerfer die Leute zu Boden reißt, zu sehen wie Nazis auf Leute eintreten.

In der Medizin fallen die Auswirkungen so erlebter Gewalt in die „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“ ( (F43.) Klassifiziert nach ICD-10). Dort heißt es u.a.:

„ein außergewöhnlich belastendes Lebensereignis, das eine akute Belastungsreaktion hervorruft, oder eine besondere Veränderung im Leben, die zu einer anhaltend unangenehmen Situation geführt hat und eine Anpassungsstörung hervorruft.“

Und weiter

„entstehen die hier aufgeführten Störungen immer als direkte Folge der akuten schweren Belastung oder des kontinuierlichen Traumas. Das belastende Ereignis oder die andauernden, unangenehmen Umstände sind primäre und ausschlaggebende Kausalfaktoren, und die Störung wäre ohne ihre Einwirkung nicht entstanden.“

Das Trauma, oder einzelne körperliche und seelische Folgen, hängen also direkt mit der erlebten Situation zusammen.

Die weitere Einteilung erfolgt in drei Kategorien.

  1. Die akute Belastungsreaktion (F43.0): „Eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt.“

Die Medizin spricht hier von einer kurzzeitig auftretenden Reaktion auf ein Schockerlebnis, dass jede*n treffen kann. Als Symptome werden angegeben:

„Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von „Betäubung“, mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit. Diesem Zustand kann ein weiteres Sichzurückziehen aus der Umweltsituation folgen (…) oder aber ein Unruhezustand und Überaktivität (wie Fluchtreaktion oder Fugue). Vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie, Schwitzen und Erröten treten zumeist auf.“

Tachykardie = „Herzrasen“

Fugue = zwanghaftes Weglaufen

Was die Medizin hier mit vielen Worten umschreibt sind also unmittelbare Reaktionen auf das erlebte. Geistige Abwesenheit, nicht mehr wissen wo eins sich befindet, was um eins herum passiert, wer die Leute um eins herum sind, ausrasten, überreagieren oder panisches wegrennen. Außerdem schnell pochendes Herz und Schweißausbrüche. Nicht immer muss alles (zeitgleich)  auftreten. Kommen diese Reaktionen bekannt vor, wenn es auf der Straße kracht? Das muss nicht immer eine akute Belastungsstörung sein. Es kann aber sein.

Eine weitere Unterteilung erfolgt in

  1. die posttraumatische Belastungsstörung (F43.1). Diese „entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.“

Protrahiert = verlängert

Weiter heißt es:

„Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren“

Meint: Begünstigende Faktoren wie z.B. weitere psychische Erkrankungen die bereits bestehen können dafür sorgen das eins schneller traumatisiert ist oder den Verlauf des Traumata erschweren.

Zu den Symptomen heißt es weiter:

„typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft“

Vigilanz = „Aufmerksamkeit“

Eine weitere Unterteilung ist die Anpassungsstörung (F43.2), auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass körperliche und psychische Symptome direkt oder nach einem traumatischen Erlebnis auf einer Demo oder Aktion auftreten können. Diese Symptome sind nicht immer „von außen“ erkennbar und können die betreffende Person schwer belasten und einschränken. Umso wichtiger ist es, dass wir als Genoss*innen und Freunde auf uns und andere achten und uns gegenseitig zuhören und unterstützen.

Wir sollten über solche Erfahrungen miteinander reden, unsere Ängste ernst nehmen und gemeinsam einen Weg finden damit umzugehen, aufeinander aufpassen.

Aber nicht immer können und wollen Betroffene mit Freunden oder der Bezugsgruppe darüber reden. In einigen Städten gibt es daher neben den Demo-Sanitätern und dem Ermittlungsausschuss auch noch Gruppen die sich auf genau solche Erlebnisse spezialisiert haben. An die können sich Betroffene wenden. Eine Liste der aktiven Gruppen gibt es hier.

 

Weitere Infos gibt es außerdem hier

 

 

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Politisierung und Radikalisierung am eigenen Beispiel

Als jemand, der zu Beginn der 90er-Jahre geboren wurde, und dessen erste bewusst erlebte politischen Ereignisse die Anschläge am 11. September waren, blieb es mir verwehrt Teil einer linken Massenbewegung zu sein, die durch große Ereignisse politisiert wurde. Als die USA mobil machte zum Krieg in Afghanistan und später in den Irak einmarschierte, lief ich zwar auf den Demonstrationen mit, denn Krieg fand ich blöd, aber aufgeweckt hat mich das damals nicht. Ich schwänzte mit vielen anderen den Schulunterricht um zur Demo zu gehen, aber das auch nur, nachdem uns vergewissert wurde, dass das diesmal egal sein. Tage später saß ich dann mit mulmigem Blick vor dem Fernseher und saß die Bilder von den Bombenangriffen auf afghanische Städte. Anders sah es einige Jahre später aus, als die Bildungsproteste begannen. Zum ersten Mal setzte ich mich bewusst über ein Verbot hinweg und hatte Spaß daran. Im Sommer 2007 saß ich dann wieder mitfiebernd vor dem Fernseher, während im Fernsehen die Bilder von den G8-Protesten liefen. Bunte Proteste an einem Bauzaun, die Clownsarmee die bewaffnete Sicherheitskräfte lächerlich machte. Schließlich Bilder von Greenpeace-Booten, Aktivisten die eine Petition überbringen wollten und von Schnellbooten gestoppt wurden, ein Schnellboot das eines der Greenpeace-Boote überrollte. Der Sicherheitswahn dieser Staatschefs erschien mir immer Absurder. Ich verstand das Anliegen der Demonstranten nicht komplett, aber ich fand gut, dass sie da waren. Fand das demokratisch. Dann die Bilder aus Rostock. Die Großdemonstration. Die Journalisten und TV-Moderatoren die von Chaoten, Autonomen und einem „schwarzen Block“ sprachen. Live-Bilder von  den Ausschreitungen. Leute waren bereit Gewalt anzuwenden um ihrem Protest Gehör zu verschaffen? Die Bilder des überfahrenen Greenpeace-Boots waren mir noch im Kopf. Ehrfürchtig und fasziniert sah ich mir die Straßenschlacht im TV an. Irgendwas schien mit dieser Welt nicht zu stimmen, wenn mehrere tausend Menschen sich gleichartig anzogen, ihre Gesichter hinter Tüchern versteckten und nicht davor zurückschreckten die Polizei anzugreifen. Heute, im Rückblick weiß ich, dass dies mein Erweckungserlebnis war. Zumindest das ist ein Erfolg der letzten großen Massenproteste in der BRD. Sie haben mich politisiert. Ich wurde Parteimitglied. Zur etwa gleichen Zeit begann eine Umstrukturierung der rechten Szene vor Ort. Die sogenannten „Autonomen Nationalisten“ bzw. „Freie Kräfte“ kamen auf. Anti-Autoritäre Nazis. Ein Witz über den ich damals schon herzlich lachen konnte. Um Widerstand gegen die Nazis zu organisieren nahm ich auch Kontakt zu denen auf, die bereits gegen die Nazis kämpften. Die lokale Antifa. Aber das ist eine Anekdote, die anderswo bereits beschrieben wurde. 😉 – Das selbstbewusste und freche auftreten der Leute, gemischt mit ihrem Wissen über die Strukturen der Nazis faszinierten mich. Die Nazis konnten sich nach einigem hin und her nicht etablieren.

Als ich im Februar 2011 nach Dresden fuhr, um mich mit Freunden und einigen tausend anderen Menschen den Nazis in den Weg zu stellen, waren wir motivierter und besser informiert als der Rest unserer Reisegruppe (Thanks, local Antifa!). Nach einigem hin und her standen wir, in schwarze Jacken und Hosen gekleidet, untergehakt in einer Blockade auf der Route. Rauchschwaden stiegen in den Seitenstraßen auf. Die Polizei setzte Pfefferspray ein um die Blockade zu räumen. Auch ich wurde getroffen, spürte das Brennen in den Augen, versuchte meine Augen zu reiben, machte es dadurch nur noch Schlimmer. Ich spürte den Schmerz, die unbändige Wut und entwickelte das erste mal persönlichen Hass auf die behelmten Uniformträger. Eine Erfahrung, die ich im Jahr darauf erneut machte, die sich festgesetzt hat – und die mich bis heute auch traumatisiert hat.  Ein Trauma mit dem ich mittlerweile aber Leben kann. Der Schritt, diese Erfahrungen und Radikalisierung zu artikulieren, aus ihr Handlungsweisen und Positionen zu entwickeln und diese umzusetzen war dann nur noch ein kleiner Schritt.
 

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