Raus aus den Komfortzonen!

Da ist es wieder, das altbekannte Gefühl der Überforderung. Als wäre „da draußen“ gerade nicht schon genug Scheiße die dampft.  Und dennoch: Da ist diese leise Stimme in mir die sagt „Das habe ich euch schon damals(tm) gesagt. Davor habe ich schon vor Jahren gewarnt.“ – Dabei fühle ich mich unfassbar schmutzig.

Trotzdem ich empfinde es als wahr. Überraschend kommt das alles nicht. Aber ja, jetzt sind ja alle unfassbar überrascht, schockiert und – ja natürlich betroffen. Aber mit Betroffenheit können sich die ‚tatsächlich Betroffenen‘ nichts kaufen. Auch keine Sicherheit. Und was machen wir? Symbolpolitik, die Haare raufen, hilflos verzweifeln und uns in Zynik üben. Wäre da draußen doch mehr von Cecile Lecomte: „Wut und Empörung in positive Energie verwandeln“. Die Betroffenen unterstützen und schützen und die (geistigen) Brandstifter angreifen, ihnen nicht die Straße überlassen und ihnen ihr scheißprivilegiertes egoistisches Leben zur Hölle machen.

Und in mir drin? Diese politische Stimmung macht mir zu schaffen. Sie erzeugt Ängste. Ängste vor etwas das schon einmal Millionen Leben kostete. Ängste davor nichts dagegen tun zu können, Ängste davor zu verlieren. Den Kampf zu verlieren wohlgemerkt, nicht ein gesellschaftlichen Status oder materielle Güter.

Nacht für Nacht gibt es Brandanschläge gegen Geflüchtenunterkünfte. Nacht für Nacht fliegen die Mollis. Nacht für Nacht müssen Menschen Angst davor haben, dass ihr letztes Hab und Gut, ihre Zuflucht brennt, das sie verbrennen. An vielen Orten marschieren die Nazis dieser Tage. Sie rufen „Autonom, Militant, Nationaler Widerstand“, „BRD heißt das System – morgen wird es untergehen.“ und auch das altbekannte „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist dieser Tage wieder zu hören. Die patriotische WM-Euphorie, die permanent ausgespielte „nationale Souveränität“ des deutschen Staates und auch das Verständnis für den ekelhaften PEGIDA-Protest haben ein politisches Klima erzeugt in dem sich Nazis ermutigt fühlen, Mordversuche begehen und nationalsozialistische Revolution spielen.

Gestern war der 9. November, der Gedenktag der als Reichspogromnacht in die Geschichte eingegangenen Nacht in der Synagogen angezündet, jüdische Geschäfte geplündert und Jüdinnen angegriffen wurden. Am gestrigen Tag überwogen bei mir zuerst die eingehenden Meldungen über Gedenkveranstaltungen, symbolisches reinigen der Stolpersteine, vereinzelt auch mahnende Worte mit Bezug auf die aktuelle politische Situation. Trotzdem merkte ich tief in mir ein ungutes Gefühl. An diesem Abend sollten in Braunschweig, Dresden, Duisburg und anderen Städten erneut Rassist*innen auf die Straße gehen. Auch an diesem geschichtsträchtigen Tag. Dann kamen die Meldungen aus Dortmund, die Provokationen der Dortmunder Neonazis bei der lokalen Gedenkveranstaltung. Sie riefen dort „Nie wieder Israel“ und zeigten die Reichsflagge. Es folgten Meldungen über Schändungen von Gedenksteinen und -tafeln aus dem ganzen Bundesgebiet. Am Abend kam es in Duisburg zu Angriffen auf den Gegenprotest durch Nazis, in Dresden wurde der „Deutsche Schuldkult“ von Tatjana Festerling für beendet erklärt und Gegendemonstranten an der Synagoge attackiert.

Klar, mehr als 500 gezählte rechte Straftaten und brennende Unterkünfte bedeuten nicht, dass hier morgen ein starker Führer kommt und wieder alle euphorisch in den Krieg ziehen und Völkermord begehen, aber mir scheint wir alle stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahr das weitreichende politische Folgen haben wird. Und wir alle, ob als politische Gruppe, Bezug, Freundeskreis und jede*r für sich muss sich darüber bewusst werden welche Rolle jede*r für sich in diesem Abwehrkampf einnimmt. Dabei darf es nicht dazu kommen das wir uns über die richtigen Mittel zerstreiten und spalten lassen sondern müssen uns über unsere Gemeinsamkeiten bewusst werden und diese gegenseitig schätzen.

Wir dürfen nicht abwarten bis die Folgen dieser Gefahr in unsere Komfortzonen, unsere Kieze, Projekte, Zentren und WGs hineingetragen werden und den Kampf dort aufnehmen wo er stattfindet.

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