#HH2112 – Der Versuch einer Verarbeitung

Vier Tage sind die „Krawalle um die Flora“ nun her. Vieles wurde gesagt, kritisiert, viel Angst geschürt. Mittlerweile gibt es haufenweise Videos, Bilder, Presserklärungen und einige Erlebnisberichte. Noch nie habe ich nach einer politischen Aktion so viel Informationen und Reaktionen konsumiert.  Dieser Text soll weder ein Gedächtnisprotokoll, noch eine Reportage aus der Sicht eines Demonstranten werden, sondern ein Versuch das erlebte zu verarbeiten.
Schon im Vorfeld kochten die Emotionen enorm hoch. Der „Investor“ hatte den Rotfloristen ein Ultimatum gesetzt und es dann wieder relativiert. In gewissen Kreisen kursierten Gerüchte, internationale Reisegruppen machten sich auf den Weg nach Hamburg.
Es lag in der Luft, dass dies keine gewöhnliche Demonstration werden würde.
In den frühen Mittagsstunden lag eine gespannte Stimmung über der Schanze. Um so überraschter war ich, als ich am Bhf Sternschanze keine Vorkontrollen sah.
Gegen Mittag füllte sich das Schulterblatt. Immer wieder sah ich bekannte Gesichter. In der Flora liefen über eine Twitterwall die Bewegungen der Cops, die in der Schanze selber kaum zu sehen waren. Dann irgendwann begann die Kundgebung vor der Flora. Redebeiträge des Flüchtlingsrats, der Rotfloristen und immer wieder der Hinweis auf den Ermittlungsausschuss.  Als sich der Demonstrationszug gegen 15 Uhr formierte war die Anspannung fast greifbar. Die ersten Reihen der Demo hatten sich hinter Front- und Seitentransparenten formiert. Ganz vorne mit dabei „ums ganze“ mit einem eher komisch anmutendem Transparent. Dinge wurden durch die Menge gereicht. Kapuzen wurden gerichtet. Über den Lautsprecherwagen wurde der baldige Start der Demo angekündigt, da ein Redebeitrag der Gruppe Lampedusa in Hamburg ausgefallen war.Die ersten Reihen setzten sich in Bewegung. Zeitgleich flammten mehrere Bengalos auf. Plötzlich stoppte die Demo wieder. Von weiter vorne waren Cops in Riotmontur zu sehen, die auf die Demo zuliefen. Einige noch mit den Helmen in der Hand. Dann schoss der Wasserwerfer. Lautsprecherdurchsagen vom Wasserwerfer und vom Lauti der Demo überlagerten sich. Es krachte immer wieder.  Die ersten Reihen wichen zurück. Auch wir wurden zurückgedrängt. Dann kam Bewegung in die Menge. Ein Greiftrupp der Cops stürmte knüppelnd und Pfeffer versprühend frontal in die Demo Die Leute wichen ungeordnet zurück. Wir wurden auf den Bordstein gedrängt. Der Angriff der Cops hatte sofort eine Gegenreaktion zu Folge. Die Cops wurden mit allem eingedeckt was greifbar war. Schnell zogen sie sich zurück. Zeitgleich kam eine weitere Einheit unter roher Gewalt aus der Seitenstraße gerannt. Meine Aufmerksamkeit verlagerte sich, als Ein Strahl Wasser über mich niederging. Erst jetzt realisierte ich das vor der Bahnbrücke zwei Wasserwerfer standen, die die Demonstration beschoss. Die Leute vor mir wichen weiter zurück und gaben den Blic auf einen weiteren Trupp Riotcops frei, der sich über den Bürgersteig weiter auf uns zu drängte. Mittlerweile waren wir bis zum Lautsprecherwagen zurückgedrängt worden. Nun konnte ich sehen wie die Menschen auf der anderen Straßenseite die Cops entschlossen zurückdrängten. Der Wasserwerfer konzentrierte sich jetzt auf sie. Das gab mir die Gelegenheit die Situation weiter zu erfassen. Die Cops hatten die Demo nach weniger als 2 Minuten gestoppt und griff sie nun ohne ersichtlichen Grund an. Dabei gaben sie sich nicht damit zufrieden die ersten Reihen niederzu knüppeln. Mittlerweile griffen sie das gesamte erste Drittel der Menge an. Ich hörte das Zischen des Wasserwerfers, der zerplatzenden Flaschen, roch das Pfefferspray in der Luft und nahm die unzähligen Schreie um mich herum wahr. Panische und zornige. Wir zogen uns in den Eingang der Flora zurück und beobachteten die Szenerie. Immer mehr Cops rückten auf. Hier würde keine Demo stattfinden, wenn die Cops weiterhin so massiv gegen die Demo vorgingen. Noch immer leisteten die Demonstranten aus den ersten Reihen erbitterte Gegenwehr gegen den Angriff der Cops. Ich sah wie weiter vorne Sannis zu Boden gingen.  In den Eingang der Flora retten sich nun die ersten verwundeten durch Pfefferspray und den Polizeiknüppel. Die ersten Verwundeten wurden versorgt, Augen ausgespült. In einem günstig erscheinendem Moment  zogen wir uns durch den Florpark in die Juliusstr (?) zwischen Flora und Haspa zurück. Nur um festzustellen das wir eingekesselt waren. In den folgenden zwei (?) Stunden checkten wir die Lage, versorgten weitere Verletzte und freuten uns über die Solidarität einiger Anwohner, die uns mit Kühlpads, Wasser und Süßigkeiten versorgten. Als es Dunkel wurde, konnten wir den Kessel wieder verlassen und trafen auf dem Schulterblatt auf den Oldtimer-Wasserwerfer der St. Pauli-Fans, aus dem das „Recht auf Stadt“-Bündnis eine Kundgebung ankündigte. Ein skurriles Bild. Der alte Wasserwerfer stand einer Kette Robocops gegenüber. Wieder wurden wir gekesse
lt. Als über den alten Wasserwerfer kommuniziert wurde, dass die Cops nicht gewillt waren eine weitere, spontane Kundgebung zuzulassen, verschwanden wir durch ein Seitentor und befanden uns in einem idyllischem Hinterhof mit einer antiken Straßenlaterne und Kopfsteinpflaster, als hätten wir ein Tor zu einer längst vergangenen Zeit durchschritten. Bewegung kam in die Menge, die Cops seien hinter uns. Schell verließen wir den Weg wieder. Die angemeldete Demonstration war zerschlagen. Andere Protestformen bestimmten den restlichen Abend.

 

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