Politisierung und Radikalisierung am eigenen Beispiel

Als jemand, der zu Beginn der 90er-Jahre geboren wurde, und dessen erste bewusst erlebte politischen Ereignisse die Anschläge am 11. September waren, blieb es mir verwehrt Teil einer linken Massenbewegung zu sein, die durch große Ereignisse politisiert wurde. Als die USA mobil machte zum Krieg in Afghanistan und später in den Irak einmarschierte, lief ich zwar auf den Demonstrationen mit, denn Krieg fand ich blöd, aber aufgeweckt hat mich das damals nicht. Ich schwänzte mit vielen anderen den Schulunterricht um zur Demo zu gehen, aber das auch nur, nachdem uns vergewissert wurde, dass das diesmal egal sein. Tage später saß ich dann mit mulmigem Blick vor dem Fernseher und saß die Bilder von den Bombenangriffen auf afghanische Städte. Anders sah es einige Jahre später aus, als die Bildungsproteste begannen. Zum ersten Mal setzte ich mich bewusst über ein Verbot hinweg und hatte Spaß daran. Im Sommer 2007 saß ich dann wieder mitfiebernd vor dem Fernseher, während im Fernsehen die Bilder von den G8-Protesten liefen. Bunte Proteste an einem Bauzaun, die Clownsarmee die bewaffnete Sicherheitskräfte lächerlich machte. Schließlich Bilder von Greenpeace-Booten, Aktivisten die eine Petition überbringen wollten und von Schnellbooten gestoppt wurden, ein Schnellboot das eines der Greenpeace-Boote überrollte. Der Sicherheitswahn dieser Staatschefs erschien mir immer Absurder. Ich verstand das Anliegen der Demonstranten nicht komplett, aber ich fand gut, dass sie da waren. Fand das demokratisch. Dann die Bilder aus Rostock. Die Großdemonstration. Die Journalisten und TV-Moderatoren die von Chaoten, Autonomen und einem „schwarzen Block“ sprachen. Live-Bilder von  den Ausschreitungen. Leute waren bereit Gewalt anzuwenden um ihrem Protest Gehör zu verschaffen? Die Bilder des überfahrenen Greenpeace-Boots waren mir noch im Kopf. Ehrfürchtig und fasziniert sah ich mir die Straßenschlacht im TV an. Irgendwas schien mit dieser Welt nicht zu stimmen, wenn mehrere tausend Menschen sich gleichartig anzogen, ihre Gesichter hinter Tüchern versteckten und nicht davor zurückschreckten die Polizei anzugreifen. Heute, im Rückblick weiß ich, dass dies mein Erweckungserlebnis war. Zumindest das ist ein Erfolg der letzten großen Massenproteste in der BRD. Sie haben mich politisiert. Ich wurde Parteimitglied. Zur etwa gleichen Zeit begann eine Umstrukturierung der rechten Szene vor Ort. Die sogenannten „Autonomen Nationalisten“ bzw. „Freie Kräfte“ kamen auf. Anti-Autoritäre Nazis. Ein Witz über den ich damals schon herzlich lachen konnte. Um Widerstand gegen die Nazis zu organisieren nahm ich auch Kontakt zu denen auf, die bereits gegen die Nazis kämpften. Die lokale Antifa. Aber das ist eine Anekdote, die anderswo bereits beschrieben wurde. 😉 – Das selbstbewusste und freche auftreten der Leute, gemischt mit ihrem Wissen über die Strukturen der Nazis faszinierten mich. Die Nazis konnten sich nach einigem hin und her nicht etablieren.

Als ich im Februar 2011 nach Dresden fuhr, um mich mit Freunden und einigen tausend anderen Menschen den Nazis in den Weg zu stellen, waren wir motivierter und besser informiert als der Rest unserer Reisegruppe (Thanks, local Antifa!). Nach einigem hin und her standen wir, in schwarze Jacken und Hosen gekleidet, untergehakt in einer Blockade auf der Route. Rauchschwaden stiegen in den Seitenstraßen auf. Die Polizei setzte Pfefferspray ein um die Blockade zu räumen. Auch ich wurde getroffen, spürte das Brennen in den Augen, versuchte meine Augen zu reiben, machte es dadurch nur noch Schlimmer. Ich spürte den Schmerz, die unbändige Wut und entwickelte das erste mal persönlichen Hass auf die behelmten Uniformträger. Eine Erfahrung, die ich im Jahr darauf erneut machte, die sich festgesetzt hat – und die mich bis heute auch traumatisiert hat.  Ein Trauma mit dem ich mittlerweile aber Leben kann. Der Schritt, diese Erfahrungen und Radikalisierung zu artikulieren, aus ihr Handlungsweisen und Positionen zu entwickeln und diese umzusetzen war dann nur noch ein kleiner Schritt.
 

Dieser Beitrag wurde unter General veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.