Demo gegen „linke Gewalt“ – der rechte Mob und seine Gewaltfantasien

Am vergangenen Samstag trafen sich ca 3.000 Menschen in Hannover um gegen „Salafismus“ zu demonstrieren. Aufgerufen hatten die „Hooligans gegen Salafismus“, ein Sammelbecken aus Hools, Nazis und Rechtspopulisten.  Nach dem Aufmarsch zwei Wochen zuvor bei dem diese „Demonstranten“ diverse körperliche Angriffe gegen Antifas, Migrant*innen und Cops begangen, wollten sie in Hannover „friedlich“ demonstrieren.

Wegen eines Zwischenfalls bei dem, so die die Cops, Kundgebungsteilnehmer der HoGeSa-Demo verletzt wurden, ermitteln sie nun u.a. wegen versuchtem Totschlag.

Wie heute bekannt wurde, hat die Partei „die Rechte“ für Samstag eine Versammlung in Hannover „gegen linke Gewalt“ angemeldet. Demonstriert werden soll von 12-18 Uhr am Postkamp.

Was auf oder am Rande dieser Versammlung zu erwarten ist, zeigen diverse Kommentare im Internet.  Hier ein kleiner Auszug:
Triggerwarnung: Gewalt


h2 h3 h5 h6 h7 h8 h9 h10 h11 n1 n2 n3 n4

 

 

Veröffentlicht unter General | Kommentare deaktiviert für Demo gegen „linke Gewalt“ – der rechte Mob und seine Gewaltfantasien

9. November 2014

Bei mir begann der Tag heute Morgen mit einem ausgiebigen Frühstück. Im Hintergrund lief Radio. NDR Info – Das Kinderprogramm „Mikado“ hatte heute als Hauptthema den Mauerfall und die DDR. Kurzer Blick auf die Nachrichtenportale. Überall Berichterstattung über die großen Feierlichkeiten. Deutschland feiert den Fall der Mauer. Der innerdeutschen Mauer. Während im Radio ein Mann Kindern die Selbstschussanlagen im „Todesstreifen“ erklärt wandern meine Gedanken an die europäische Außengrenze. Die Mauern hier sind um ein vielfaches höher. Beton, Nato-Draht, mehrere Zäune. Davor patrouillieren Grenzstreifen mit Hunden.

Für mich ist der 9. November mit einem anderen Ereignis verknüpft. Der Reichspogromnacht 1938. Der Beginn der Judenverfolgung. Spontan entscheide ich mich einen Ausflug zu machen und fahre zu einer Gedenkstätte in meiner Nähe. An dem Ort der Gedenkstätte stand einst die Jüdische Gartenbauschule.  Später wurde das Gebäude enteignet und von der Gestapo als Gefängnis und Folterkeller genutzt. Bis vor wenigen Monaten erinnerte nur eine Messingtafel an die abscheulichen Verbrechen  die hier begangen wurden. Nun wurde eine Gedenkstätte erbaut  die an die hier gefolterten und ermordeten Gegner der Nazis erinnert. Es ist noch früh am Sonntagmorgen. Lediglich zwei Rentnerinnen wandern durch die Außenanlage. Nachdem ich einen Stein und ein Teelicht an der Gedenktafel abgelegt habe stehe ich noch einen Moment unschlüssig vor dem Tor durch das die Verhafteten geführt wurden.  Mir ist kalt. Trotz morgendlichem Sonnenschein. Meine Gedanken rotieren.  Die beiden Frauen haben mich entdeckt. Eine der beiden streckt einen Arm in die Luft.  Gerade als ich mich über die Geste empören und sie anschreien will, sehe ich, dass sie die linke Faust in die Luft streckt und den Arm angewinkelt hat. Stumm Grüße ich auf die gleiche Weise zurück.  Die beiden kommen auf mich zu. Aber mir ist nicht nach einem Gespräch.  Ich mache mich auf den Rückweg. Heute Abend werden tausende vor dem Brandenburger Tor stehen, sich und ihr wiedervereintes Volk feiern, sich über die friedliche Revolution freuen.  An einem Tag der den Beginn der Shoah einleitete.  Nur wenige Wochen nachdem ein rassistischer und gewalttätiger Mob durch Köln gezogen ist und Jagd auf nicht-deutsche und Antifaschist*innen gemacht hat, nur wenige Tage nach diversen rassistischen Demonstrationen gegen Geflüchtete, nur wenige Tage vor dem vermutlich größten Nazi-Aufmarsch seit Dresden.

Am Abend sitze ich am Laptop und lese von einer weiteren kleinen gewalttätigen  HoGeSa-Demo In Berlin und davon, dass in Erfurt CDU, AfD, NPD und Kameradschaften gemeinsam gegen eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen demonstrieren. Mit Fackeln. Am 9. November. Ihr Schlachtruf: Wir sind DAS Volk.

Ich geh kotzen.

 

 

Veröffentlicht unter General | Kommentare deaktiviert für 9. November 2014

Conti

Die alte Fabrikruine ist schon von weitem sichtbar. Wie eine verlassene Festung erhebt sie sich über die Kleingärten und den Kanal. Von dem einst stattlichen Fabrikgelände sind nur noch zwei Bauten übrig geblieben. Die Fertigungshallen. Beide sind mehrere Stockwerke hoch. Die letzten Spuren einer düsteren Vergangenheit. Auch wenn hier seit mehr als 50 Jahren nichts mehr produziert wird, der Ort lebt weiter. An einigen Stellen haben die Naturgewalten ihre Spuren hinterlassen, an anderen Stellen sind die Spuren unverkennbar menschlich. Die Wände sind über und über bemalt, besprayt, verändert. Ein riesiges Kunstwerk. Ein Kunstwerk, dass Kulisse war für Fotos, Filme, Pornos, Beziehungsdramen, schöne Momente.

Ob die Menschen die hier ein und ausgehen sich noch an die Vergangenheit erinnern?

Ob sie um die Vergangenheit dieses Geländes wissen?

In dieser Fabrik wurden einst Reifen produziert. Hauptsächlich für einen Wagen der als „Wagen für das Volk“ gedacht war. Der Kanal an dem ich hier stehe führt zu einer Stadt die einzig zu diesem Zweck gebaut worden war und damals „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ hieß.  Später wurde sie in Wolfsburg umbenannt. Und aus dem KdF-Wagen wurde der VW.

Nur diese Fabrik produzierte weiter ihre Reifen. Vor dem Krieg, während des Kriegs und auch danach.

An der Stelle am Kanal an der ich stehe waren einst Barracken, Hütten, eingezäunt und bewacht. In ihnen lebten jene, die für die Nazis Abschaum waren. Abschaum den sie noch ausnutzen konnten. Sie wurden zur Arbeit für die Kriegsmaschinerie gezwungen. Jene die die Qualen der Zwangsarbeit überlebten wurden kurz vor Ende des Kriegs auf die Vernichtungsmärsche geschickt.

Und heute? An der Stelle an der einst die Barracken standen, wachsen nun Kartoffeln neben Gärtenhäuschen und gestutzten Hecken, über denen die Deutschlandflagge an großen Masten weht. Eine deutsche Kleingartenkolonie steht auf dem Boden, in dem einst die geschundenen Ermordeten verscharrt wurden. An sie erinnert nichts mehr.

Nun soll ein kühnes Bauprojekt das verlassene Fabrikgelände ersetzen. Wo Sprayer, Fotografen und Entdecker ein und aus gehen soll eine Wohnsiedlung entstehen. „Wohnen am Kanal.“ / „Wasserstadt“

Keine Zeit, Kein Ort mehr um sich zu erinnern.

Veröffentlicht unter General | Kommentare deaktiviert für Conti

In manchen Nächten

In manchen Nächten träume ich von meiner Utopie. Dann sehe ich die Menschen vor mir, wie sie selbst produzierte Güter tauschen, spüre wie es sein muss, wenn sich Menschen ohne Vorurteile Leistungszwang und Konkurrenzdenken begegnen.

In manchen Nächten ahne ich, wie das Miteinander aussehen könnte, von dem so viele träumen. Wenn ‚mein‘ und ‚dein‘ Worte sind, die nur noch selten im Sprachgebrauch Erwähnung finden und irgendwann ganz vergessen sind.

In manchen Nächten höre ich die Menschen, wie sie von einem ‚früher‘ erzählen, an dass sie sich nur noch schwach erinnern, oder von dem sie nur gehört haben. Absurde und verwunderliche Erzählungen.

In manchen Nächten rieche ich die Luft, frei von Abgasen, den Geruch von Blumenwiesen im Sommer und geernteter Felder im Herbst.

In manchen Nächten fühle ich den Sand zwischen meinen Zehen, wenn wir spontan mit Freunden am Strand sitzen und auf den Sonnenuntergang warten, statt zwei Drittel meiner Lebenszeit einem Arbeitgeber zu schenken.

In manchen Nächten spreche ich davon, wie auch im fiktiven Morgen noch Träume für ein übermorgen Platz haben können.

Veröffentlicht unter Revolutionsromantik | Kommentare deaktiviert für In manchen Nächten

Was sind Anarchist_innen (ein unkonventioneller Erklärungsansatz)

Über das Thema, dass mir gerade im Kopf herumschwirrt haben schon viele Anarchist_innen geschrieben. Es ist nicht leicht zu erklären, hat mit Gefühlen und konkretem Handeln zu tun. Vor allem  aber mit Beeinflussung und bewusster Manipulation über fast zwei Jahrhunderte.  Anarchie? Was für Bilder hat mensch dazu im Kopf? Chaos, brennende Häuser, Krieg und Leichen? Glückwunsch. Auch du hast dich beeinflussen lassen. Selbst die Tagesschau nutzt „Anarchie“ als Bezeichnung für Länder in denen gerade Bürgerkriege passieren. „in XY herrscht Anarchie“.
Dabei begegnet uns schon die zweite Beeinflussung. „Anarchie“ kommt vom altgriechischen an-archia. Die Ablehnung von Ordnung bzw Gegenordnung. Der Wortstamm ist auch in Hierarchie sichtbar. Es geht um die Ablehnung von Herrschaft. Anarchie herrscht nicht. Sie ist.

Die Lehre von der Anarchie wird Anarchismus genannt. Schlägt mensch im Wörterbuch oder einer (Online-) Enzyklopädie nach, ist festzustellen dass da doch mehr dahinter steckt als Chaos und Zerstörung.

Nun, es gab in der Vergangenheit auch Menschen die sich Anarchisten nannten und mit Mord und Zerstörung versuchten ihre Utopie einer anderen Welt zu erkämpfen. Eine ganze Liste dieser Attentate gibt es hier. http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_anarchistischer_Attentate

Der Gedanke hinter diesen Attentaten ist das Konzept der „Propaganda der Tat“. Wobei durch gezielte Aktionen auf etwas hingewiesen werden soll. Auch heute nutzen Anarchist_innen (und nicht nur diese) dieses Konzept noch. Heute spricht die Bewegung von „direkten Aktionen“. Prominente Beispiele sind Farbbeutel oder Eierwürfe auf Politiker oder Firmenzentralen. Aber auch andere, nicht-militante Aktionen oder Handlungsweisen können darunter gefasst werden. Zum Beispiel Sitzblockaden vor Nazi-Aufmärschen.

Wir alle kennen Anarchist_innen und die Früchte ihres Kampfes, ihre Werke. So zum Beispiel die Lieder von Rio Reiser, ehemaliges Mitglied der Band Ton Steine Scherben, oder die Filme der britischen Kabarettisten Monty Phyton. Oder aber die Erziehungskonzepte von Rudolf Steiner, der Begründer der Walldorf-Pädagogik. Wir alle kennen Punks, Punk-Musik und die DIY-Bewegung. All das sind Beispiele für Früchte von bekannten Anachist_innen.

Es gibt Menschen, die sich irgendwann in ihrem Leben mit der Gesellschaft in der sie leben auseinandersetzen, theoretische Texte lesen und dann beschließen Anarchist_innen zu werden.

Es gibt Menschen die vorher politisch aktiv waren und sich dann von anderen Gesellschaftsformen wie Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus abwenden und Anarchist_innen werden.

 

Es gibt aber auch jene Menschen, die sich nicht Anarchist_innen nennen und dennoch welche sind. Ich habe bisher im Text bewusst ausgelassen was Anarchismus ist. Das überlasse ich dem Leser.

Anarchist_innen sind Menschen, die Widerstand in die Herzen anderer Menschen tragen. Die im gespräch Hoffnung und Lust machen, auf eine andere Gesellschaft, eine andere Zukunft.

Anarchist_innen sind Menschen, die Autoritäten hinterfrage und  sie ablehnen. Die Polizisten und Kontrolleure stressen oder sie bei ihrer Arbeit behindern.

Anarchist_innen sind Menschen,  die anderen Menschen helfen, sie unterstützen. Die mit ihnen zu Ämtern gehen.

Anarchist_innen sind Menschen, die Kindern beibringen selbstständig zu leben, Dinge kritisch zu hinterfragen.

Anarchist_innen sind Menschen, die Schule oder Arbeit schwänzen und ihre Zeit so verbringen wie sie es für richtig halten.

Anarchist_innen sind Menschen, die sich nicht von anderen Mitmenschen unterdrücken lassen und selbstbestimmt denken und handeln.

Anarchist_innen sind Menschen, die Tauschbörsen organisieren.

Anarchist_innen sind Menschen, die Blitzer und Kameras sabotieren.

Anarchist_innen sind Menschen, die soziale Kontaktnetzwerke schaffen.

Anarchist_innen sind Menschen, die Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung leisten.

Anarchist_innen sind Menschen, die Freiräume für jene schaffen, die in der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Anarchist_innen sind Menschen, die allen, egal welchen Geschlechts, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung gleich begegnen und sie wertschätzen.

Anarchist_innen sind Menschen, die im Supermarkt klauen und die erbeutete Ware dann im Freundeskreis verteilen.

Anarchist_innen sind Menschen, die nachts Wände bemalen, Nationalflaggen klauen.

Anarchist_innen sind Menschen, die Tiere aus Schlachthöfen befreien.

Anarchist_innen sind Menschen, die in Betrieben gegen Vorgesetzte rebellieren.

Anarchist_innen sind Menschen, die Fabriken sabotieren.

Anarchist_innen sind Menschen, die ihr Pfand nicht wegwerfen, sondern neben den Mülleimer stellen.

Anarchist_innen sind Menschen, die essbares aus den Müllcontainern klauen, statt es teuer einzukaufen.

Anarchist_innen sind Menschen, die Zäune und Mauern sabotieren und anderen neue Wege eröffnen.

Anarchist_innen sind Menschen, die in diesem Moment auf Dachböden, Häuserdächern oder in Parks sitzen und über ihr Träume von einer befreiten Gesellschaft reden.

Bist auch du Anarchist_in?

Alle diese Beispiele zeigen wie Anarchist_innen versuchen den Einfluss des Staates zu minimieren, Menschen dazu bringen sich selbst zu organisieren, nicht auf Autoritäten zu setzen, und dem Kapitalismus immer wieder die Zunge herauszustrecken.

All das ist Propaganda der Tat. All das ist gelebte Anarchie im Alltag.

Veröffentlicht unter General | Kommentare deaktiviert für Was sind Anarchist_innen (ein unkonventioneller Erklärungsansatz)

Dachbodenhilosophie

Die alten Dielen knarren unter unseren Füßen, als wir den Dachboden betreten. Staub hängt in der Luft und kitzelt in der Nase. Als wir uns auf dem Boden niederlassen, wirbelt er in kleinen Wölkchen auf. Dieser leere Raum ohne Schmuck, ohne Einrichtung lässt Platz für Gedanken. Aus dem Handy erklingt ein Lied von Früchte des Zorns, in dem es um die Revolte im Alltag und den eignen Anspruch geht. Wir philosophieren über dass, was wir schon erreicht haben. Im privaten und politischen. Entwicklungen und Prozesse an denen wir beteiligt waren, kleine Erfolge die uns geprägt und zu dem gemacht haben, was wir sind. Der Staub mischt sich mit dem Rauch zweier Zigaretten. Wir sind dankbar für die Menschen, die uns auf diesem Weg begleitet haben. Auch vertane Chancen und Menschen, die sich von uns abwandten kommen uns in den Sinn, denen wir noch immer hinter trauern, die wir bereuen. Wir kommen zur zentralen Frage politischer Menschen. Die eine Frage, die wir uns immer wieder stellen und dessen Antwort, sofern wir eine haben, sich von Zeit zu Zeit ändert: „Wie wollen wir eigentlich leben und was wollen wir erreichen?“ Wir haben eine Antwort darauf. Auch konkrete Ansätze für das handeln, dass zu diesem Ziel führt besitzen wir. Die Dielen ächzen, als wir uns aneinander lehnen. Nur, werden wir damit glücklich? Führt dieser Kampf zum persönlichen Glück oder zur Resignation? Wie können wir uns diese Träume, diese Ideale erhalten? Darauf finden wir (noch) keine Antwort.

Nur die Hoffnung, dass es so bleibt.

Veröffentlicht unter General | Kommentare deaktiviert für Dachbodenhilosophie

Wo seid ihr geblieben?

Hell scheint der Vollmond über den Dächern der Stadt und spiegelt sich in einer Pfütze. Leise Musik dringt aus dem offenen Fenster einer Kneipe. Der Kopf ist voller Gedanken, Emotionen und Wünsche. Wieder ein Abend mit vielen Diskussionen. Ein Abend mit der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Wir laufen durch die kalte, leere Stadt und fragen uns wo diese bessere Welt ist. Die Ideen dazu sind nicht neu. Schon so viele Menschen vor uns hatten den gleichen Traum, die gleichen Ideale und trotzdem sind die errungenen Siege nur kleine Schritte auf dem Weg zum Ziel.

Wo sind all die Menschen, die einst gegen die Elterngeneration aus der NS-Zeit rebellierten und eine Umwälzung der Gesellschaftsverhältnisse forderten? Wo sind die Menschen, die sich gegen den Bau der AKWs stellten, die vor einigen Jahrzehnten im Kampf für eine bessere Welt Häuser besetzten, Kommunen gründeten und ein Netzwerk aus Aktivisten schufen, dass dafür sorgte das  Hunderttausende protestierten? Wo sind die Autonomen der letzten 30 Jahre geblieben, die sich ihre Freiräume zum Leben mit Mut, Kreativität und Militanz erkämpften? Wo sind die Antifas geblieben, die sich Anfang der 90er-Jahre vor Flüchtlingsheime stellten und ganze Regionen nazifrei hielten? Wo sind all diese Menschen geblieben? Nun, sie sind nicht einfach verschwunden. Das ist klar. Die prominenten Beispiele sitzen mittlerweile für bürgerliche Parteien im Parlament oder in den Vorständen von Großkonzernen. Sie sind Teil des „Schweinesystem“ geworden, dass sie einst ablehnten und bekämpften. Aber wo sind all die anderen? Manchmal treffen wir auf sie. Bei Aktionen oder in Bündnissen. Menschen für die mittlerweile andere Dinge wichtiger geworden sind, die sich aber noch immer als Teil der Bewegung, als Teil des Kampfes für ihre alten Ideale verstehen. Gelegentlich erkennen wir sie auch im Alltag an Bemerkungen, Blicken oder am konkreten handeln. Aber das ist nur ein kleiner Teil.

Wir laufen durch eine bekannte Straße in dieser Stadt. Einst wurden hier zahlreiche Häuser besetzt, tobten hier heftige Straßenschlachten. Das letzte übrig gebliebene besetzte Haus ist mittlerweile legalisiert und teilt sich das Außengelände mit einer KiTa und einem Stadtteilbüro. Die Fassaden, einst heruntergekommen und voller Transparente wurden renoviert. Hier haben Architekturbüros und eine hippe Partylocation Platz gefunden. Nur gelegentlich findet sich eine Parole an einer Häuserwand.

Was kann einen Menschen so verändern, dass er seine Ideale und Träume aufgibt und Teil des Systems, der Gesellschaft wird, die er ablehnt? Resignation? Familie? Ein gut bezahlter Job? Fragen, die sich aus unserer Position nur schwer beantworten lassen.  Klar, Zweifel und Rückschläge kennen wir. Ohne sie wäre unser Kampf nicht der, der er ist. Zweifel regen uns immer wieder zum Überdenken unserer Ideen  an. Aus den Rückschlägen lernen wir. Aber alles aufgeben?  Das kommt nicht in Frage.

Wir verlassen die bekannte Straße und biegen ab. Schwarz gekleidete Gestalten huschen grüßend an uns vorbei. Wir schmunzeln. Noch sind wir da und nicht alleine, auch wenn viele fehlen.

Veröffentlicht unter Revolutionsromantik | Kommentare deaktiviert für Wo seid ihr geblieben?

„Seid ihr jetzt zusammen?“

Disclaimer: Text enthält Ansichten eines privilegiert-weiß-biologisch-männlichen Menschen.

 

„Und?“ Ein kurzes Zögern. „Seid ihr jetzt zusammen?“ Der Mensch mir gegenüber grinst vielsagend. Ich schweige einen Moment und gehe im Kopf verschiede Antwortmöglichkeiten durch. „Nein.“ Der andere Mensch runzelt die Stirn. „Aber ihr…?“, setzt er an. Ich verschränke die Arme, noch immer unschlüssig wie ich auf die Situation reagieren soll. Der andere Mensch lässt den Satz unausgesprochen. Er muss ihn auch gar nicht aussprechen. Ich weiß was er sagen will. Diesen Dialog habe ich in den letzten Tagen mehrfach geführt. Mittlerweile bin ich genervt davon. „Aber ihr kuschelt und küsst euch doch sichtbar. Ihr sucht gegenseitig eure Nähe und verbringt viel Zeit miteinander. Du übernachtest bei ihr.“ Ich entscheide mich so zu antworten wie zuvor. „Na und? Müssen wir dafür in einer festen Beziehung sein?“ Jetzt verschränkt auch mein gegenüber abwehrend die Arme. „Nein, aber…“ Ich wende mich ab. „Na also“, murmle ich im weggehen.

 

Diesen Dialog habe ich in den letzten Tagen mehrfach in linken Zusammenhängen geführt. Und bin noch immer genervt und ein bisschen enttäuscht. Sogenannte radikale und emanzipatorische linke Zusammenhänge, in denen es anscheinend in den Köpfen nur Beziehung und keine Beziehung gibt. Kein Gedanke, kein Verständnis für etwas dazwischen. Was ist aus den Ansätzen der 68er-Bewegung geworden? Freie Liebe als Antwort auf die bürgerlich-eheliche Zweierbeziehung war der Ansatz. Zum Ende der 90er schwappten in die radikale in Linke die Ideen von Polyamory. Seither gibt es zahleiche Arbeitsgruppen, Konzepte und dokumentierte praktische Umsetzungen. Auch offene Beziehungen sind im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts doch eigentlich kein unbekanntes Konzept mehr.

Wieso also muss ich mich für Gefühle und Zärtlichkeiten, die beide beteiligte Menschen nicht in eine Schublade oder Kategorie zwängen wollen, rechtfertigen?

Wenn der geistige Horizont schon hinter der heteronormativen Zweierbeziehung endet, wie soll dann Platz in den Köpfen dieser Menschen für Homosexualität, Queer, Gender Studies, Polyamory oder Intersexualität sein?

Nicht zuletzt ist ein Aufbruch und das ausprobieren anderer zwischenmenschlicher Beziehungskonzepte schließlich auch ein wichtiger Tragpeiler des feministischen Kampfes, den sich diese radikalen linken Zusammenhänge seit einigen Jahren so sehr auf die Fahnen geschrieben haben.

Aber die Bekämpfung patriachaler Strukturen, so scheint mit immer mehr, hört hinter der Emanzipation im Black Block und in Sportgruppen schnell auf.

Wo war ich stehen geblieben? Viele Menschen wissen um erwähnte andere Konzepte von  zwischenmenschlichem Miteinander und doch scheinen sie noch so wenig präsent zu sein, dass grundsätzlich vom herkömmlichen Beziehungskonzept ausgegangen wird.

Was hilft?

Reden, ausprobieren, andere Konzepte leben und nach außen zeigen. Auch ihr seid gefragt!

 

 

Veröffentlicht unter General | Kommentare deaktiviert für „Seid ihr jetzt zusammen?“

Brennen/Ein Freudenfeuer

Kühl weht der Wind durch das offene Fenster. ­­­Ich sitze auf dem Sofa und starre auf die weiße Wand­­. Die letzten Wochen waren voller Ereignisse. Aufregung und Adrenalin waren mein ständiger Begleiter. Immer in Bewegung, immer unter Menschen. Nun sitze ich hier und denke an Bilbo Beutlin. Skurril, oder? „Ich fühle mich ausgelaugt. Wie Butter auf zu viel Brot verstrichen.“ Dass trifft es. Aus den Boxen dringt sanfter Bass und Johnny Mausers Stimme.

 

„Das ist für die Kämpfe die du mit deinen Leuten führst / Feuer und Flamme beides leuchtet in dir / Kennst du dein Lachen, ja du brennst für die Sache / Manche Glut muss man nicht mehr entfachen / Der Muskel in der Brust brennt, die Beine sind müde / Kampf gegen Windmühlen, Anstrengen; wie ein Kind fühlen / Macht das manchmal ein bisschen leichter / Umschauen, was ich jetzt schon erreicht habt / Alles soll sich ändern und zwar kein bisschen später / Du stehst im Rauch und weinst wegen Tränengas / Du hältst meine Hand und putzt dir den Mund ab / Und zusammen machen wir die Welt bunter.“

 

Eine einzelne heiße Träne bahnt sich den Weg über meine Wange.

 

„Fast täglich erlebst du (ei)n paar Rückschläge / Nur mit uns zusammen kannst du trotzdem von Glück reden / Denn zum Glück ist die Freundschaft nicht teuer / Und wir tanzen um das Freudenfeuer“

 

Die Träne  wird vom Kragen meines Shirts aufgefangen. Mein Blick verschwimmt.

 

„Zünd es an, fang was an du bist niemals allein / Treib es an, fach es an du bist niemals allein“

 

Noch vor einem Jahr habe ich mich im Lied „Brennen“ von Früchte des Zorns wiedergefunden.

 

„Ja ich will leben, will nicht nur atmen, nein ich will brennen uns es gibt nichts zu verlieren. Lieber drei Jahre Abenteuer als 30 Jahre lang am Leben zu erfrieren.“

 

Ich merke wie Dinge an mir nagen, fühle mich erschöpft und leer und spüre trotzdem den Wunsch weiterzukämpfen, weiterzumachen, aktiv zu bleiben. Ist das der Punkt an dem viele andere vor mir ihrem Traum den Rücken zugewandt haben?

Tief in mir Emotionen und Gefühle die ich nicht zu zeigen vermag. Aus Angst mir wichtige Menschen damit zu verletzen, zu bedrängen.  Schon zu häufig hat ein gesprochenes Wort Menschen von mir entfernt, obwohl es nur ausgebreitete Arme zeigen sollte.

Diesmal Menschen die mir sehr schnell sehr wichtig geworden sind. Menschen mit denen ich mich auf einer tiefen Ebene verbunden fühle und die einen Platz in meinem Herzen gefunden haben.

Menschen dessen Gegenwart mich Ruhe und Geborgenheit fühlen lassen. Menschen deren Lächeln mich Glücklich machen und deren flüchtige Berührung mein Herz höher schlagen lässt.

 

Ich spüre diese Emotionen und überlege, während sich mein Blick wieder schärft. Ich brenne immer noch. Nur anders als zuvor.

 

Veröffentlicht unter Revolutionsromantik | Kommentare deaktiviert für Brennen/Ein Freudenfeuer

BlockupyHH: Hafencity entern – Beobachtungen und Eindrücke

„Nach einer linksgerichteten Demonstration ist es am Sonnabend in Hamburg zu Ausschreitungen gekommen.“

So beginnt der NDR die Berichterstattung zur gestrigen Blockupy-Demonstration in Hamburg.
Ich seufze und trinke noch einen Schluck Kaffee. Die rechte Schulter schmerzt dabei noch ein bisschen. An der Stelle wo mich ein Polizeiknüppel traf ist ein dunkelblauer Fleck entstanden.

„Nach Ende der friedlichen Demo wurde die Polizei nach eigenen Angaben aus einer Gruppe von 150 Linksextremisten heraus mit Böllern beworfen. Daraufhin wurden Schlagstöcke und Wasserwerfer eingesetzt. Insgesamt seien drei Beamte leicht verletzt worden. Auch mindestens ein Demo-Teilnehmer musste von Rettungskräften behandelt werden“

Hamburg Hauptbahnhof 12:30 Uhr:
Auf dem Platz sammeln sich nach und nach Aktivist_innen aus verschiedenen Gruppen und Kontexten. Tierbefreiungsaktivist_Innen, Antifas, Antikapitalist_innen, Parteijugenden, Vertreter_innen der Partei Die Linke, der SAV. Anfänglich erstaunlich wenig, wie der Reisegruppe mit der ich unterwegs bin auffällt. Viele bemalte Regenschirme sind dabei. Die Transparente weisen auf unterschiedliche Kämpfe hin. „Nationalismus ist keine Alternative“, Antikapitalistische Parolen, Anti-Gentrifizierung. Auch die Kämpfe der Refugees für ein uneingeschränktes Bleiberecht werden thematisiert. Schließlich setzt sich bei strahlender Sonne ein farbenfroher Demonstrationszug in Bewegung. Abseits der üblichen Black Block-Demos mit Kapuzen, Sonnenbrillen, Halstüchern und verknoteten Seitentransparenten demonstrieren schließlich zwischen 2.500 und 3.000 Menschen in Hamburg unter dem Titel „Hafencity entern – Elbphilharmonie besichtigen.“
Denn ausgerechnet am gleichen Tag hatte die Stadt Hamburg zur Besichtigung des neuen Prestigeprojekts am Hafen eingeladen. Vom Bahnhof ging es über die Mönckebergstraße, vorbei an den shoppenden Hamburger_innen und Tourist_innen zum Gänsemarkt. Mitten durch ein Spalier Handykameras. Ein surreales Bild. Auf der Straße mehrere Tausend Menschen die den Zuschauer_innen am Rande „Leute lasst das glotzen sein, reiht euch in die Demo ein“, „A Anti Antikapitalista“, „Saufen Saufen, Fressen Fressen und den Rest der Welt vergessen oder „Leute lasst das shoppen sein, steckt die Sachen einfach ein“ zuriefen. Einer teuer gekleideten älteren Frau am Rande fiel bei diesem Spruch vor Schreck die Plastiktüte eines teuren Modelabels aus der Hand. Ohne Zwischenfall passierte die Demo das Polizeipräsidium und blieb schließlich nach Rufen vor der Handelskammer stehen. Eine Person am Rande hatte offenbar eine Flasche auf die Demonstration geworfen. Cops waren in die Demo gerannt und hatten die beworfene Person vorübergehend in Gewahrsam genommen. Wie mir zu Ohren kam entschuldigten sich die Cops schließlich und nahmen die angreifende Person fest. Dass es sich bei der angreifenden Person um einen Nazis gehandelt hatte, konnte ich im nachhinein nicht feststellen. Nach kurzen Verhandlungen, währenddessen die Demo von den Cops abgefilmt wurde, zog die Demo weiter Richtung Hafencity. Wer glaubt in der Mönckebergstraße und am Gänsemarkt schon den Prunk dieser Stadt gesehen zu haben, wird sich wundern. Die Demo lief vorbei an den Tourist_innenattraktionen Hamburger Dungeon und Miniaturwunderland in eine Welt aus fein herausgeputzten Hamburger Speichern. Die Glaserinnung hat hier ganze Arbeit geleistet. Die ursprüngliche Abschlusskundgebung an den Marco Polo-Terrassen wurde durch die Cops untersagt. So endete die Demo ironischerweise am Grasbrook. Der Elbinsel auf der Einst der Freibeuter Claus Störtebeker hingerichtet wurde, der schon im Mittelalter das mit der Umverteilung der Güter und des Kapitals vorantrieb.
Der Zugang zur Elbphilharmonie wurde den Demonstrationsteilnehmer_innen durch mehrere Ketten Cops versperrt. Mehrere Finger formierten sich und versuchten einen Durchbruch, den die Cops mit roher Gewalt, (Holz)knüppeln und Pfefferspray zurückzudrängen versuchten. Als die Cops schließlich zwei Wasserwerfer auffuhren und einsetzten explodierten mehrere Böller und Feuerwerk.
Nach einigem hin und her gelangten schließlich Aktivist_innen auf das Gelände der Elbphilharmonie und konnten auch dort ihren Protest zeigen. Neben Transparenten gab es auf dem Gelände auch eine Sitzblockade.
In Zahlen: Laut Ermittlungsausschuss 13 vorrübergehende Ingewahrsamnahmen, mindestens eine schwer verletzte Person, mehr als 10 verletzte Personen durch Pfefferspray und Knüppel (eigene Beobachtung).

Im Vorfeld hatte ich mir einige Gedanken gemacht. Sicher, der Blockupy-Protest ist wichtig, aber ich hatte Bedenken wegen einer Eskalation durch die Cops wie am 21.12 in Hamburg oder den Blockupy-Protesten in Frankfurt in den letzten zwei Jahren. Auch wenn das Szenario diesmal ein anderes war.
Auch wenn ich den Black Block-Demos in mit ihrem Auftreten und den dadurch möglichen Aktionen und Handlungsformen einiges abgewinnen kann und sie wichtig finde, gefiel mir das bunte und offene auftreten in diesem Demonstrationskontext sehr. Gerne mehr davon!
Mehr Infos zu #BlockupyHH:Blockupybündnis Hamburg, Twitter, Bericht von graswurzel.tv, Bericht und Bilder von HH-Mittendrin

 

Veröffentlicht unter General | Kommentare deaktiviert für BlockupyHH: Hafencity entern – Beobachtungen und Eindrücke