Wer sind hier die Chaoten?

Der folgende Text kann nicht alle Geschehnisse, Aspekte und Sichtweisen zu Hamburg wiedergeben. Seht mir Ungenauigkeiten und eventuelle falsche zeitliche Einordnungen bitte nach.

Der folgende Text bezieht sich auf Tweets, Youtube-Videos, Medienberichte und Bilder. Dieser Text ist kein Erlebnisbericht.

Man muss sich schon verdutzt die Augen reiben, wenn sie nicht eh noch vom Pfefferspray und Tränengas brennen. Die Rauchschwaden über Hamburg sind verweht, die Schanze ist sauberer als zuvor. Was bleibt?

Ich möchte mich nicht in der Debatte um die Ereignisse in der Freitagnacht verlieren. Der Protest gegen den G20 war vielfältig und breit. Es gab künstlerische Aktionen wie die 1000 Gestalten, es gab eine bunte und riesige Demo am Samstag. Es gab zivilen Ungehorsam und es gab militante direkte Aktionen. Es gab aber auch Dinge die „aus dem Ruder gelaufen sind.“ Geschenkt.

Die Hamburger Polizei hat im Vorfeld massiv vor „gewaltbereiten Demonstranten“ gewarnt. Es kursierten Zahlen von 8.000 – 10.000. Darunter, so wusste Dudde zu berichten, angereiste aus dem europäischen Ausland. Um dem zu begegnen stellte Dudde 19.000 (!) Polizisten auf die Straße. Dudde ist bekannt für seinen eskalierenden Umgang mit Protest. Das Konzept trägt den Namen „Hamburger Linie“. Die Eskalation des Gipfels begann aber nicht am Freitagabend in der Schanze und auch nicht am Donnerstagnachmittag auf dem Fischmarkt, sondern bereits Tage vor dem Gipfel. Um die Anreise von gewalttätigen Demonstranten zu verhindern gab es bereits Tage vorher Krenzkontrollen an der belgischen und dänischen Grenze  – wie wir heute wissen hat die Polizei dabei zwar haugenweise Straftäter gefunden, aber keine bzw wenig im Bezug auf den G20-Gipfel. Im Vorfeld hatte der Ermittlungsausschuss anreisende Demonstranten aus dem Ausland gewarnt und auf das deutsche Versammlungsrecht hingewiesen. Eine fiktive dänische Bezugsgruppe musste davon ausgehen, dass sie an der Grenze wegen Schals, Taucherbrillen, Klarsichtfolien oder Campingbedarf kontrolliert werden würden. Einhergehend mit einer Kontrolle der Personalien und ggf. einer Speicherung dieser. Wollte diese Bezugsgruppe das nicht, so mussten sie über andere Wege als den Grenzposten an der Autobahn anreisen. Hier beginnt bereits eine Einschränkung und Behinderung. Der absurde Rechtsstreit der darauffolgenden Tage um das Campen ohne Schlafzelte ging bundesweit durch die Medien. Auch der Angriff auf das Camp Entenwerder bevor das BVerfG einen endgültigen Beschluss gefasst hatte.  Hamburger berichteten in den Tagen von einem massiven Aufgebot von Polizei an allen Ecken in der Stadt, von kreisenden Hubschraubern rund um die Uhr. Die Hamburger und ihre Polizei kennen auch bestimmte Rituale. Das Schanzenfest und den 1. Mai. Die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, Anwohnern und Polizei sind ritualisiert. Schanzenbewohner sprechen ironisch davon, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt die Polizei die Schanze mit ein paar Wasserwerfern „putzt“ und damit die Auseinandersetzungen beendet. Soweit der Blick auf die Hamburger Normalität und das was darüber hinausgeht. Das Bild was am Donnerstag noch in der Luft hing als sich die Welcome-to-hell-Demo sammelte war das eines provozierenden und eskalierenden Polizeiapparat.

Die Organisatoren hatten im Vorfeld ganz offen kommuniziert dass die Demo von einem großen „Schwarzen Block“ angeführt werden würde. Darauf konnte sich die Polizei einstellen. Die Bilder die von der Auftaktkundgebung durch die Medien gingen waren nicht die eines schwarzen Blocks, sondern von Reden und einem Konzert von unvermummten, nicht schwarz gekleideten Menschen. Es war also auch deutlich das der vorweglaufende schwarze Block nur ein Teil der Demonstranten war. Dennoch konnte die Demo nur wenige Meter gehen. In diversen Youtube-Videos ist dokumentiert wie der Anmelder mit dem Einsatzleiter der Polizei verhandelt. Dabei bezeichnet der Einsatzleiter die Vermummung als „massive Straftaten“.

Ein kleiner Exkurs eines Laien in Sachen Versammlungsrecht:

  • 17a des Versammlungsgesetz verbietet das tragen oder mitführen von Schutzbewaffnung. Dabei ist Schutzbewaffnung in etwa alles was Vollstreckungsmaßnahmen abwehren kann. Typische Gegenstände die darunter fallen sind Sturmhauben, Helme, Protektorenkleidung. In der Theorie können das auch Schals, Regenschirme, Taucherbrillen o.ä sein.

 

Dass es der Polizei nicht gefällt wenn sich Menschen vor Angriffen durch sie durch entsprechende Kleidung schützen und sich vor den Augen und Kameras der Beamten mit Hauben oder Schals verstecken ist ebenso klar. Insbesondere dann wenn aus einer solchen Gruppen regelmäßig (Gegen)Angriffe stattfinden.
Jetzt kommen wir zum absurd/amüsanten Teil. Ein schwarzgekleideter Block mit Tüchern und Hassis sieht bedrohlich aus martialisch aus. Dass ist auch durchaus Teil der Taktik.

Der § 17a trifft aber auch zu, wenn sich Menschen mit Perücken, angeklebten Bärten und Sonnenbrillen ausstatten.

Der § 17a trifft auch zu wenn Menschen Masken wie die zeitweise hippe Guy Fawke tragen.

Der § 17a trifft auch zu wenn Menschen Morph Suits tragen.

Die letzten drei genannten Beispiele sind wohl Dinge die wir alle als bunten Protest bezeichnen würden.

Das deutsche Grundgesetz, das höchste deutsche Recht sieht in § 8 vor:“ Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

In Sachen  §17a ist es deswegen erst einmal Abwägungssache der eingesetzten Beamten ob die bei Vermummung einschreiten. Dazu kommt, das es wohl kaum verhältnismäßig ist, dass das Versammlungsrecht anderer eingeschränkt wird, obwohl sich ein Teil nicht an die Spielregeln hält.

Beim diesjährigen 1. Mai in Hannover gab es eine Aktion der Verdi-Jugend an der Bühne bei der die Akteure Morph-Suits trugen. Es wäre wohl kaum verhältnismäßig gewesen die Versammlung mit einem Wasserwerfer wegzuspühlen oder eine prügelnde Hundertschaft über das Gelände zu jagen um der „Straftäter“ habhaft zu werden.

Ende des Exkurs. Zurück nach Hamburg.

In den besagten Youtube-Videos ist auch zu hören wie vom vorderen Lautsprecherwagen die Aufforderung kommt die Vermummung abzulegen damit die Demo laufen kann. Ob der Aufforderung nachgekommen wurde kann ich nicht beurteilen. Was in den Videos zu sehen ist, ist dass die Polizei kurze Zeit später an der Seite und frontal massiv Kräfte zusammenzieht und schließlich mit  brutalster Gewalt in die Demo knüppelt und einen Teil des vorderen Blocks abtrennt. Hier sind fliegende Gegenstände zu sehen. Zu sehen ist auch, dass die Reihen sich davon nicht groß beeindrucken lassen und stehen bleiben. Als die Prügelorgie weitergeht bricht Panik aus. Leute versuchen panisch die Flutschutzmauer zu erklimmen, die Polizei knüppelt weiter und der Wasserwerfer schießt auf die flüchtenden Menschen. Danach kommt es zu heftigen Gegenangriffen auf die Polizeikräfte und den Wasserwerfer. Das ist eine Eskalation. Die besagten Videos sind unter „welcome to hell hamburg“ zu finden.

Im Anschluss, so sagen diverse Berichte, kommt es zu brennenden Autos und diversen Aktionen im ganzen Stadtgebiet und spontanen Demonstrationen. Das war vorhersehbar, denn genau das ist nach der Zerschlagung der Demo für die Rote Flora am 21.12.2013 ebenso passiert.

Dass die Demo nach der Prügelorgie auf dem Fischmarkt trotzdem noch bis zur Reeperbahn zog verkommt dabei zur Randnotiz.

Am Freitag Morgen dann gibt es in der Stadt und im Hafen die angekündigten Blockadeaktionen. Die Organisatoren hatten in ihrem Aktionsbild extra betont, dass die Polizei nicht ihr Gegner ist. Trotzdem kommt es zu heftigen Angriffen auf die Blockadefinger. Heftig insofern, als dass erfahrende Blockierer die geschehende Gewalt als „noch nie dagewesen“ und „völlig enthemmt“ beschreiben. Menschen die es kennen beim blockieren und Polizeiketten durchfließen gepfeffert und niedergeknüppelt zu werden. Am Nachmittag dann zieht eine spontane und unangemeldete Demonstration mit vielen tausend Menschen vom Millerntor in Richtung Landungsbrücken bis sie gestoppt wird. Es kommt auch hier zu einer Konfrontation, aber keiner großen. Ein Teil der Demo schafft es bis zum Bumwall. Dort kommt sie vor der hochgezogenen Zugbrücke der „Elphi“ zum stehen. Im Anschluss ziehen sich viele Menschen ins Schanzenviertel zurück. Dort kommt es dann wie in den Tagen zuvor zum üblichen Ritual. Doch diesmal fehlt der polizeiliche „Putztrupp“ – und das über Stunden. Im so entstandenen Freiraum werden Barrikaden errichtet und angezündet, kommt es zu Angriffen auf Akteure der Gentrifizierung und kapitalistischer Symbole. In diesem Freiraum werden REWE, der Apple Reseller und Budnikowski geplündert. Über Stunden ist keine Polizei zu sehen. Die Flammen der Barrikaden lodern teilweise meterhoch. Erst nach Einbruch der Dunkelheit greift die Polizei an. – Jetzt im nachhinein begründen sie das mit Personen die am Eingang Schulterblatt einen Molli geworfen hätten – samt dürftigem Videobeweis. Herr Dudde kennt Hamburg. Viele andere Menschen auch. Die Schanze, das Schulterblatt ist nicht vom Pferdemarkt erreichbar. Gegen Mitternacht dann rücken Spezialeinheiten, Räumpanzer und Wasserwerfer vor und starten die Putzaktion deluxe.

Die Ereignisse des Freitagabend sind deswegen nicht so einfach als Krawallexzess zu beurteilen.

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