Schreibübung oder eigenständiger Text?

Ich hatte das Flair von Hotellobbys schon immer gehasst. Diese akzentuierenden Pflanzen in den Ecken, die ausgesessenen aber luxuriös wirkenden Couches, Beistelltische mit glänzenden Glasflächen. Darunter Zeitschriften die eh niemand las. Diese Räume waren auf wohnlich getrimmt. Ihre Funktion war, den Ankommenden einen guten Eindruck zu vermitteln. Niemand hielt sich hier gerne auf. Das Klackern der Absätze meiner Lackschuhe hallte durch die Halle. Zielstrebig ging ich auf die Rezeption zu. Der Concierge hatte kurz aufgeblickt als ich eingetreten war. Nun starrte er konzentriert auf einen Bildschirm vor sich. Lange genug um mir das Gefühl zu geben nicht wichtig genug für seine volle Aufmerksamkeit zu sein. Diese Überheblichkeit würde ihm gleich vergehen. „Was kann ich für sie tun?“, fragte er endlich. Diese wenigen Worte drückten das gleiche wie die Geste mit dem Bildschirm aus. Er hatte es nicht gesagt. Er hatte es mehr geseufzt. „Scheidemann. Ich habe reserviert.“, sagte ich knapp und legte meine Aktentasche auf der Rezeption ab. Er zog wieder seinen Bildschirm zu rate. Ich wartete auf den Augenblick der nun kommen würde. Seine Augen huschten von rechts nach links. Offenbar las er eine Liste. Schließlich blieben sie auf einem Eintrag stehen. Seine Pupillen weiteten sich. Er quiekte beinahe, als er schnappend Luft einsog. „Herr Scheidemann! Entschuldigen sie, ich konnte ja nicht ahnen…“ Ich grinste. „Sparen wir uns das.“ Ich trommelte gespielt ungeduldig mit den Fingerkuppen auf seinem Tresen. „Suit 401.“ Er machte Anstalten einen Pagen herbeizuwinken, der in diskretem Abstand wartete. Ich streckte fordernd die Hand aus. „Danke. Ich finde das Zimmer schon.“ Er zögerte einen Moment, bevor er mir die Karte reichte. „Wie sie wünschen.“ Ich griff nach meiner Aktentasche und wandte mich um. „Einen angenehmen Aufenthalt!“, rief er mir hinterher.

Mein Gesicht spiegelte sich in der Armatur des Aufzugs. Ich hatte in den letzten Wochen einige Falten dazugewonnen. Surrend setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, nachdem ich die Chipkarte durch das Lesegerät gezogen hatte. Ich warf einen zweiten Blick auf mein goldgefärbtes Spiegelbild. Bildete ich mir das nur ein, oder hatte ich tatsächlich Geheimratsecken bekommen? Ein dezentes pingen kündigte meine Ankunft im vierten Stock an. Direkt dem Fahrstuhl gegenüber lag der Eingang zu 401. Ich betrat den Raum und warf die Chipkarte in eine Schale auf einer Kommode. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Endlich Ruhe! Mit zügigen Schritten durchquerte ich den Raum und trat an die Balkontür. Sie war nicht verriegelt. Vor mir tat sich die Alster auf. Schwäne zogen ihre Bahnen durch das Wasser. Am Ufer tummelten sich trotz der fortgeschrittenen Tageszeit Touristen und Jogger. Diese Stadt änderte sich nie. Ich drehte mich um und musterte den Raum. Zur Schau gestellter Luxus. Vergoldete Armaturen, teurer Teppich, Hightech-Fernseher und Hifi-Anlage Ich durchschritt den Raum und öffnete die Minibar. Champagner, Softdrinks und tatsächlich das was ich gesucht hatte. Lokales Bier. Ich nahm die Flasche heraus und öffnete sie mit dem in den Kühlschrank integrierten Öffner. Es schmeckte köstlich. Ich nahm die Flasche mit und ging unter die Dusche.

Als ich zurück ins Wohnzimmer trat erwartete mich mein Gepäck. Es war nicht ins Schlafzimmer geräumt worden, sondern stand im Flur. Vermutlich eine kleine Revanche des Concierge. Ich packte meinen Laptop aus und entnahm der Aktentasche den kleinen grünen USB-Stick. Bevor ich den Laptop startete steckte ich ihn an das Gerät. Der Startbildschirm erschien und forderte mich auf das Passwort einzugeben. Ich tippte die fünfzehnstellige Kombination ein und schaute auf die Uhr. Mir blieben noch zweieinhalb Stunden. Genug Zeit um mich auf das Gespräch vorzubereiten. Schmunzelnd blickte ich auf die Daten vor mir auf dem Bildschirm. Sie waren ein Tor zur Vergangenheit. Ich spürte die Geschichte die sie erzählten fast körperlich. Sie war greifbar. Das hatte mich schon immer bewegt. Als Kind hatte ich viel im Wald gespielt. An einer Stelle nahe am Waldrand gab es einen ovalen Hügel. Mitten im ebenen Wald. Ich hatte ihn unzählige male erklommen und darauf gesessen. Von oben konnte man den Wald gut überblicken. Ein idealer Punkt um beim Verstecken spielen die anderen von weitem zu erspähen. Von dort konnte man auch die Senken im Wald sehen. Kleiner als der Hügel. Mehrere Meter tief. In einem hatten wir einmal Metallsplitter gefunden. Es hatte eine große Aufregung gegeben. Die Polizei war angerückt. Dann der Kampfmittelbeseitigungsdienst. Ein schweres Wort für ein Kind. Sie hatten nichts mehr zum beseitigen gefunden. Am Tag danach vergruben wir unsere Ausbeute in einem Versteck. Splitter britischer Bomben. Keine hatte das alte Hügelgrab getroffen. Was in ihm ruhte, ruhte dort weiter und verbreitete das Gefühl die Vergangenheit berühren zu können..

Hotellounges faszinierten mich. Wenn die Lobby eines Hotels dem Gast etwas vorspielen sollte, so war es die Lounge, die einem Gast etwas über das Hotel verriet. Die Beleuchtung, die Musik, die Stimmung der Gäste und der gebotene Service. Ich schmunzelte unwillkürlich als die automatische Tür vor mir aufglitt. Sofort stieg mir ein unverkennbarer Geruch in die Nase. Nicht belästigend, sondern angenehm. Ich roch Zigarren und mehrere Whiskynoten. Echten Whisky, nicht das Zeug aus dem Supermarkt. Das Licht war gedämmt. Die Lampen strahlten unaufdringliche Blautöne aus. Ein warmes Blau. Dunkle Sessel, Couches und Mahagonitische. Das Geräuschbett wurde von Pianoklängen getragen. Ich erkannte den Song bevor die Stimme einsetzte. Wie passend.


With your feet on the air
And your head on the ground
Try this trick and spin it, yeah
Your head’ll collapse
And there’s nothing in it
And you’ll ask yourself

Where is my mind?

Die Gespräche der anderen Gäste verloren sich darin. Das leise klirren von Glas aus Richtung der Theke passte sich ein und störte nicht. Ich nickte der Barkeeperin knapp zu und suchte mir eine abgelegene Sitznische von der aus ich die Tür im Auge behalten konnte. Eine alte, zur Routine gewordene Gewohnheit. Die Barkeeperin trat an meine Nische. „Kann ich Ihnen schon etwas bringen?“ Ich warf einen kurzen Blick auf die Flaschen über der Bar. „Sullivan. Pur. Ohne Eis.“ Sie lächelte und verschwand. Während sie die von mir anvisierte Flasche aus dem Regal hinter der Theke nahm, zog ich mein Netbook aus dem Etui. Das Licht des Bildschirms durchbrach das Beleuchtungskonzept. Schnell pegelte ich die Helligkeit herunter. Ich öffnete mehrere Dateien und versank erneut im Inhalt. Ein Schatz, keine Frage. Er würde unangenehme Fragen aufwerfen. Fragen, die sich Menschen stellen lassen mussten. Fragen, die auch ohne Antworten etwas zerstören und verändern konnten. Konnten? Würden, verbesserte ich mich gedanklich. Ein Schatten fiel auf mich. Die Barkeeperin stellte den Tumbler mit einem gedämpften Klirren auf dem Tisch ab, nickte mir zu und entschwand. Ich klappte das Netbook zu, lehnte mich zurück und lies die Geruchsnote auf mich wirken. Unverkennbar Eiche mit diesem gewissen tropischen Etwas. Ich benetzte die Lippen. Süßer Malz. Vorsichtig sog ich Luft ein. Da war es. Bitterschokolade. Kein anderer Whisky konnte das. Ich schloss genießerisch die Augen. Das sanfte Brennen im Rachen setzte ein. Die Barkeeperin hatte mich richtig eingeschätzt. Ich bewunderte sie dafür. Alles an mir schrie eigentlich danach, dass ich hier nicht hingehörte. Sie hatte dennoch keinen jungen Jahrgang gewählt. Dieser war mindestens 16 Jahre alt. Ich gönnte mir einen weiteren Schluck und schaute an mir herab. Das Sakko war an den Schultern einen Hauch zu breit und spannte an der Hüfte. Das Hemd war noch steif und die Anzughose im Schritt zu weit. Im Tumbler spiegelte sich mein Gesicht. Der Bart gestutzt, die Haare über die Geheimratsecken gekämmt. Vor einer halben Stunde auf dem Zimmer hatte ich es für einen klugen ironischen Zug gehalten die Sneakers anzuziehen. Nun kam ich mir unfassbar albern in ihnen vor. Dieses ganze Theater war unfassbar albern. Aber sie hatten es so gewollt.

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Auf der Suche nach dem eigenen Stil

Seit ein paar Wochen bin ich vermehrt auf der Suche nach dem eigenen Schreibstil. Schreibstil – ein komisches Wort. Wenn ich mir meine früheren Texte anschaue, dann sehe ich da eine Entwicklung. Von den ganz frühen Texten vor mehr als 10 Jahren bis heute hat sich einiges verändert.  Vor allem natürlich der Wortschatz. Aber auch die Art Objekte und Emotionen zu beschreiben. Vor allem in Prosa.

Im Text „Es ist die Wut, die wir teilen…“ habe ich eine bewusst einfache Sprache verwendet und möglichst auf langatmige Beschreibungen verzichtet. Gerade deswegen wirken die Charaktere aber sehr oberflächlich. Ihnen fehlen eigene Gedanken, eigene Sichten und Wahrnehmung. In der Fortsetzung, an der ich aktuell schreibe, versuche ich einen Kompromiss zwischen möglich einfacher Sprache und Details zu finden.

Um zu schauen „was geht, habe ich in den letzten Tagen einige Schreibübungen gemacht. Eine davon gefällt mir so gut, dass ich sie hier dokumentieren möchte. Was daraus wird weiß ich noch nicht. Ich habe Lust darauf den Text weiterzuentwickeln.

 

 

 

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Auf eine Zigarette mit fünf Romanfiguren

Ihm stieg eine Duftwolke aus Curry und Ingwer in die Nase als er die Tür des AZ aufstieß. Die Akustik überwältigte ihn für einen Moment. Unzählige Gespräche erzeugten ein stetiges Summen das den Raum ausfüllte und die Musik aus den Boxen im hinteren Bereich fast komplett überlagerte. Sein Blick wanderte über die Anwesenden und blieb schließlich auf einer Sitzecke im Schatten eines Pfeilers hängen. Zwei Frauen und zwei Männer saßen sich gegenüber. Alle vier beugten sich übe den Tisch um sich besser unterhalten zu können. Er steuerte auf sie zu. „Martin!“ Die Frau mit blonden Haaren drehte sich zu ihm um und umarmte ihn zur Begrüßung.“ Hi Anna!“ Er löste sich von ihr und umarmte die Frau neben ihr. Dann wandte er sich den beiden Männern zu um sie kurz zu umarmen. „Alles gut bei euch?“, fragte er und quetschte sich zwischen sie auf das Sofa. „Geht so.“, sagte Anna. Sie spielte nervös an einem Flyer auf dem Tisch zwischen ihnen herum. „Was ist denn los?“, fragte Martin. „Das fragst du ernsthaft? Hier schwappt gerade eine Welle offen gezeigtem Rassismus durchs Land, die Anschläge auf Geflüchtetenheime steigt rasant an und wir sitzen hier rum und tun nichts!“ Martin kramte in seiner Gürteltasche nach einer Packung Zigaretten und musterte die vier. Er schwieg. Thea setzte zu einer Erklärung an. „Anna meint glaube ich das sich bei uns seit fast einem Jahr nichts getan hat. Wir haben uns nicht weiter entwickelt. Genau genommen haben wir seit einem halben Jahr gar nichts mehr gemacht. Wir, also unsere Geschichte wurde einfach zwischen zwei Buchdeckel gequetscht und vergessen.“ Martin schnippte an seinem Feuerzeug herum bevor er sich eine Zigarette zwischen die Lippen steckte und sie anzündete. „Im Gegenteil. Du kommst hier rein und das erste was dir auffällt als du uns bemerkst sind Annas blonden Haare, während Lars und Jan hier“, – sie deutete auf die beiden. – „“einfach als zwei Männer beschrieben werden“. Aber klar, dem weiblich wahrnehmbaren Menschen muss natürlich ne optische Eigenschaft hinzugefügt werden.“

Martin blies blauen Dunst in den Raum bevor er antwortete: „In der ganzen Geschichte geht es immer nur um mich. Ich tue dies, ich fühle das. Jetzt gerade kommt ihr mal zu Wort. Ich kann auch nichts dafür das der Autor euch beide so oberflächlich angelegt hat, dass er euch durch optische Eigenschaften unterscheiden muss. Das sagt doch was aus. Über ihn.“ Ein Aschebrocken löste sich von seiner Kippe und landete auf dem Tisch. Jan beugte sich vor und fegte ihn vom Tisch. „Das kann ich über uns beide auch sagen. Wir sind einfach die beiden Typen im Hintergrund. Der eine macht Ermittlungsausschuss und der andere Info-Struktur. Wir tauchen nur am Rande auf wenn es dem Autor für die Handlung nutzt oder irgendwer ein paar blöde Sprüche machen soll.“

Ihr Gespräch wurde kurz von einem Klirren unterbrochen. Jemand hatte ein Glas fallen gelassen und erntete dafür höhnisches Gelächter.

„Ja. Komischer Typ. Der schreibt da fast fünf Jahre an uns herum, bringt uns komplett durcheinander, lässt uns lieben, leiden und schließlich euphorisch zurück und kümmert sich dann einen Scheißdreck darum wie es mit uns weiter geht.“
„Die Drohungen gegen Marie vergessen, Martins erste Demoerfahrungen einfach so stehen gelassen und wie er jetzt Antifaschismus sieht habe ich immer noch nicht ganz verstanden.“. Jetzt regte sich auch Lars auf.

Martin räusperte sich. „Gerade jetzt gäbe es auch viel zu erzählen und zu erklären. Diese ganzen -GIDAs, warum antirassistische Arbeit ein linksradikales Kernthema ist, wie sie aussieht und was sich daraus schlussfolgern lässt. Aber ich glaube er hat gerade selber viel zu tun. Wie wir alle. Irgendwie hat uns das ja doch alle ziemlich geschockt. Also dieser rassistische Ausbruch und die Frage was das jetzt bedeutet und wie es politisch weiter gehen kann. Ich glaube aber er wird bald weiter schreiben. Dann geht es auch mit uns weiter.“

Er drückte seine Zigarette aus.

„Ich hoffe nur das dauert nicht wieder fünf Jahre. Dann bin ich nämlich endgültig zu alt für diesen Scheiß.“

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Angst

Ich habe Angst. Mir das einzugestehen war anfangs schwierig. Irgendetwas gab es immer zu tun. Mit irgendetwas konnte ich mich immer ablenken. Doch nun fühle ich es deutlich.

Ich habe Angst.

Ich habe Angst vor einer rassistischen Mobilisierung der Gesellschaft.

Ich habe Angst vor einem politischen Rechtsruck.

Ich habe Angst davor, dass rassistische Parolen und Thesen salonfähig werden.

Ich habe Angst davor, dass rassistische Gewalttaten im aktuellen gesellschaftlichen Klima ermuntert werden.

Ich habe Angst davor, dass in einer Hysterie weitere Überwachung und Kontrolle staatlich durchgesetzt werden.

Ich habe Angst davor, dass sich der Egoismus und die Entsolidarisierung weiter verbreiten.

Ich habe Angst davor angegriffen zu werden, weil ich dagegen ankämpfe.

Ich habe Angst davor Gewalt einzusetzen um mich oder andere schützen zu müssen.

Und trotz dieses Angst – oder gerade deswegen kann und will ich nicht wegsehen. Kann nicht weglaufen oder mir etwas schönreden.

Angst, dass habe ich mal gelernt, ist ein Schutzreflex. Eine Warnung.

Aber vor was warnt sie mich nun?

Vor einigen Wochen stand ich vor einer Polizeikette und hatte Angst. Eine andere als die, die ich jetzt spüre. Mir schlotterten die Knie. Wortwörtlich. Ich realisierte die Angst, atmete tief durch und sah die Bilder und Eindrücke der letzten Wochen und Monate vor mir. Ich spürte die alte Wut in mir hochkochen und trat dann nach vorne. Meine Beine hörten schlagartig auf. Noch bevor ich begriffen hatte, bewegte ich mich und tat genau das wovor mich meine Angst warnen wollte.

Angst ist überwindbar. Angst ist nur das Innehalten bevor Mut und Wut wiederkommen.

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Ich habe damals da auf dem Acker meinen Helm verloren & Ein Aufruf an „die Alten“

„Ich habe damals da auf dem Acker meinen Helm verloren.“ – Als die Person diesen Satz sagt, bin ich elektrisiert. Gerade sprachen wir über den Widerstand gegen das AKW-Brokdorf. AKW-Gegner, nun das war er. Das ist er. Das ist für mich nichts neues. Auch das er an den großen Anti-AKW-Dmeos teilgenommen hat, wusste ich. Aber mit Helm? Das setzt einiges voraus. Er redet darüber nicht weiter, übergeht Nachfragen. Ab einem bestimmten Punkt blockt er ab. Warum? Ich sehe ihn nun in einem anderen Licht. Da steckt mehr dahinter. Warum er wohl nicht darüber redet? Etwaige Straftaten sind mittlerweile verjährt, sein Charakter und seine Einstellungen haben sich geändert. Sein Blick auf die Welt ist nüchterner geworden. Wieso also nicht über die Zeit reden, die ihn damals geprägt hat?

Auch spätere Nachfragen bringen keinen Erfolg. Lediglich Andeutungen am Rande von anderen Gesprächen. Nach und nach setzt sich für mich ein Puzzle zusammen, dass viele Lücken aufweist.

Ich war versucht diesen Text mit einem längeren Absatz darüber zu beginnen, dass ich merke das in meinem politischen Umfeld ein Generationswechsel stattfindet. Der zweite den ich miterlebe. Das diese neue Generation die gleichen Fehler macht wie ich damals, zum Beispiel dass sie weniger sensibel mit Fotos umgehen. #GenerationDemoselfie. Aber das wäre am Thema vorbei.

Diese Feststellung hat vor einiger Zeit für mich etwas anderes ausgelöst. Das Interesse für autonome Geschichte. Ein Kapitel der linksradikalen Bewegung über das bisher kaum geschrieben wurde.
Wir alle kennen die Berichte der Widerstandskämpfer aus der Weimarer Republik und aus der NS-Zeit. Spartakusaufstand, Matrosenaufstand, Rote Kapelle, Geschwister Scholl. Wir alle kennen die Berichte aus der Zeit der RAF, die beinahe popkulturellen Status erreicht hat: Baader-Meinhof-Komplex, Zeitzeugeninterviews mit Claudia Roth und Joschka Fischer. Die APO, die sich bis ins letzte Atom spaltete oder den „Marsch durch die Institutionen“ antrat.

Glaubt man dem Schulunterricht, hörte an diesem Punkt die radikale Linke auf zu existieren. Friedens- und Anti-AKW-Bewegung werden den Schülern eher als „Bürgerbewegungen verkauft.“

Dann lange Zeit nichts und aus heiterem Himmel rassistische Pogrome und und eine Zivilgesellschaft die Kerzen haltend den Rechtsextremismus besiegt.

Je häufiger ich mit den jüngeren Genoss*innen rede, um so mehr sehe ich, dass ihnen ein Bewusstsein für die letzten 35 Jahre linksradikaler Bewegung fehlt.

Auf der anderen Seite sehe ich ältere Genoss*innen, die über diese Zeit nicht reden, oder verleugnen, dass sie Teil von Hausbesetzungen, Recherchegruppen, Antifa-Schutzstrukturen oder militanten Demonstrationen waren.
Nur selten sprechen diese Menschen offen über „ihre Zeit“, ihre Fehler, ihr handeln – aus dem wir so viel lernen könnten – Das ein (Selbst)Bewusstsein für die Strukturen schaffen könnte.*

Diese jüngere Generation bewegt sich wie selbstverständlich in den Squats und Freiräumen, die einst von dieser alten Generation erkämpft und verteidigt wurde, sie führt die gleichen Diskussionen wie „die Alten“ – ohne von ihrem Diskussionsprozess zu profitieren.
Sie bewegt sich ohne ein Bewusstsein an den Orten, an denen einst große Proteste stattfanden, an denen Menschen aus der alten Generation für ihre Ideale ihr Leben ließen.

Für eine linksradikale Erinnerungskultur! Der Blick nach vorne fällt leichter im Bewusstsein was hinter einem liegt!

(Ja, dieser Text darf und soll als Aufforderung an „die Alten“ verstanden werden, mit den „Kids“ ins Gespräch zu kommen und die eigene Geschichte aufzuschreiben!)

*Ausnahmen: Geronimo – Feuer und Flamme I / Feuer und FlammeII

http://www.nadir.org/nadir/archiv/Diverses/pdfs/geronimo_flamme.pdf

http://www.nadir.org/nadir/archiv/Diverses/pdfs/geronimo_flamme2.pdf

Das Projekt „Autonome in Bewegung“ http://autox.nadir.org/

Bernd Langer – „Operation 1653“ / Sven Regener „Neue Vahr Süd“ (Belletristik)

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„Es ist 2015…“

„Es ist 2015…“

Ich tue mich schwer mit der Einleitung zu diesem Text. Eigentlich bin ich ziemlich sprachlos. Der Schock sitzt tief. Als ich vor einigen Jahren begann Antifa-Arbeit zu machen waren mir die Dimensionen nicht bewusst. Ich erlebte einen Niedergang der Antifa-Gruppen, Paralyse und Perspektivlosigkeit. Antifa-Arbeit, das war für mich damals das Engagement gegen die lokalen Nazi-Strukturen, die sich hier gebildet hatten. Den Blick über den Tellerrand machte ich damals nicht. Meine Erfahrungen aus diesen Jahren gibt es an anderer Stelle zu lesen.

Ich erlebte eine große Mobilisierung. Mehr als 5.000 Nazis in Dresden, Morde an politischen Gegnern, Einschüchterungsversuche, später dann die Sarrazin-Debatte. Aber das wirkte überschaubar. Auf eine zunehmend rassistische Stimmung in der Gesellschaft hinzuweisen führte dazu belächelt zu werden. Auch als ich diese These mit den „Mitte“-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung belegte, wurde ich belächelt.

Vermeintliche „Deutschenfeindlichkeit“
Der gesellschaftliche Tenor: „Das wird man doch noch sagen dürfen!“

2011 flog die NSU auf. Erschrecken. Einzeltäter-Debatte. Akten geschreddert. Staatliche Beteiligung kaum abstreitbar, aber schwer zu belegen. Nach und nach wurde deutlich das der NSU keine isolierte Zelle war, sondern ein bundes- eventuell europaweites Netzwerk.
Noch immer läuft die Asyldebatte. – rassistische Stimmungsmache seitens der CSU/CDU (https://www.youtube.com/watch?v=eJFHiJbYjEY)

Prozesse gegen Antifaschist*innen wegen Dresden. §129a-Verfahren, Massenspeicherung von Handydaten, Landfriedensbruch-Vorwürfe gegen Pfarrer und Abgeordnete.

Europa- und Weltmeisterschaften im Männerfußball. Patriotismusdebatten. Immer wieder Meldungen über verletzte „nicht-deutsche“ auf Fanmeilen.
„Man wird doch wohl noch stolz auf Deutschland sein dürfen!“

2013 dann der Anstieg der Zahlen Geflüchteter. Asyldebatte 2.0. Diskussionen um die Unterbringung.
Erste rassistische Mobilisierungen im Form von „Nein zum Heim“-Bewegungen. Marzahn-Hellersdorf. Nachwirkungen der Sarrazin-Debatte.
Die Refugeemovement entsteht – Lampedusa in Hamburg, Hungerstreik und Oplatz in Berlin, Würzburg, Wien.
Als 2.000 Refugees im Meer vor Lampdeusa auf der Fluchtertrinken, scheint es das erste mal ein Stocken zu geben. Schnell aber wird über eine bessere Abschottung der Festung Europa diskutiert.

Politischer Tenor: „Man muss mit den Anwohnern reden, ihre Ängste ernst nehmen.“

2014 – Überall sprießen rassistische „Bürgerbewegungen“ aus dem Boden. CDU-Wähler demonstrieren an der Seite von resignierten Bürgern und Neonazi-Strukturen.

Im Herbst  formuliert Neonschwarz:

Es ist 2014
Hat sich viel verändert eigentlich nicht wirklich
Hellersdorf, Schneeberg, Luckenwalde, Güstrow
Germering, Trier, Wolgast und Duisburg – was?
Die Liste ist noch länger
Wir rufen auf zu eskalieren wenn sich nicht was ändert
Weil die Scheiße passiert flächendeckend
Es wird Zeit dass wir paar Gesetze brechen
Vater Staat mag das nicht, Politik im Landtag
Per Handschlag auf dem Weg zum Brandanschlag
Refugees welcome und bringt die Familie
In der Krise, Bürgerinitiativen
Agieren unterm Deckmantel
Kein Flüchtling lebt wie die Made im Speckmantel


Diverse Stiftungen führen Statistik über die Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte. Die Zahl steigt im Jahr 2014 rasant an.
Die AfD verbucht immer mehr Erfolge, wird zum politischen Sprachrohr einer intellektuellen Rechten.

Aus dem nichts taucht ein neues Phänomen in der Öffentlichkeit auf. „Islamkritik“ – Ethnopluralismus. Ein Konzept über das die intellektuelle Rechte Europas seit Jahren diskutiert. Ein „Europa der Völker“, das sich nicht durch Volkszugehörigkeit, sondern gemeinsame Werte und Traditionen gegen eine Bedrohung des Islams abgrenzt, ist der Gedanke dahinter.

Wir erleben „Hooligans gegen Salafisten“ – einen gewalttätigen rassistischen Mob in Köln. Aus der Demonstration heraus werden Wohnungen und ein asiatisches Restaurant angegriffen. Allseits mediale Empörung. Die erfolgreiche Wiederauflage in Hannover scheitert an der staatlichen Repression.

Der nächste Testballon der neu rechten Bewegung wird zum Erfolg. Zum Ende des Jahres mobilisiert ein rechts-konservatives Netzwerk unter dem Titel „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ Tausende. 2014 erlebt die BRD die größten Aufmärsche rassistischen und rechtsextremen Gedankengutes seit den 40er-Jahren. Dresden schafft es zum Jahreswechsel auf mehr als 20.000 Demonstranten. Anfang 2015 werden es noch mehr. Am Rande der sich ausbreitenden „-GIDA“-Demos kommt es immer wieder zu Angriffen auf Geflüchtete, Migranten und Antifaschistinnen. So in Köln, Düsseldorf, Dresden, Leipzig, Würzburg und Hannover.
Die Gegenmobilisierung verläuft erst schleppend. Der „Zivilgesellschaft“ schafft es nur vereinzelt diese Demonstrationen zu stoppen. Der Fokus liegt auf einer symbolischen Gegenbewegung. Symbolische Zeichen, Selbstvergewisserung.

Anfang 2015. Während 25.000-28.000 PEGIDA-Anhänger durch Dresden ziehen, trauen sich Refugees nicht aus ihrer Unterkunft. Einer verlässt am Abend die Wohnung. Am Morgen wird er blutüberströmt auf der Straße gefunden. Tot.
Seine Freunde berichten von sichtbaren Verletzungen. Die Mordkommission ermittelt.

https://www.youtube.com/watch?v=23ThdwtZlbM

(Alle Angaben und zeitlichen Einordnungen ohne Gewähr.) – Einzelnachweise liefere ich gerne nach.

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„Es ist die Wut die wir teilen, aber die Liebe die uns verbindet“ -Trivia/Making of Teil 1

Wie ich gestern schon schrieb, wird das Manuskript nun gedruckt und wir in spätestens zwei Wochen vorliegen. Für die Zwischen- und Wartezeit habe ich mir etwas ausgedacht. In möglichst regelmäßigen Abständen möchte in der Wartezeit einen Einblick in den Entstehungsprozess des Buches geben.  Hier geht es nun los mit

Teil 1!

Die ersten Entwürfe für die Geschichte schrieb ich Ende 2008. Damals wurde ich beeinflusst von Erlebnissen und Geschehnissen in meinem Wohnort. Ich war damals noch nicht lange politisch aktiv und bewegte mich in einer anderen Subkultur. Ein Einfluss der leicht erkennbar ist, wenn wir auf die ersten Zeilen des Entwurfs von 2008 schauen:

In den letzen Monaten hatte sich der Kampf zwischen rechten und linken Gruppen verstärkt. Alles hatte mit der Ankündigung der stärksten rechten Partei begonnen, ein Bildungszentrum für Heimatgeschichte in der Innenstadt von Hannover zu errichten. Wie zu erwarten, hatte sich ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Organisationen zusammengefunden und gegen den Bau dieses Zentrums demonstriert.

Mark schloss die Tür hinter sich und schlüpfte hinaus in die Nacht. Ein kühler Wind empfing ihn auf der Straße, während er sich auf den Weg zu Straßenbahn machte. Mit jedem weiteren Schritt den er machte, fühlte er sich leichter. Mit jedem weiteren Schritt ließ er ein weiteres Stück seiner Probleme hinter sich. Als er die Haltestelle erreichte hätte er beinahe hüpfen können. Er lehnte sich an die kalte Glaswand des Wartehäuschens und blickte an sich hinab. Die dunkle Jeansjacke war eng, saß aber an der Taille richtig. Das helle T-Shirt darunter ragte ein paar Zentimeter hinaus.  Er zupfte es am Hosenbund zu Recht und kontrollierte dann den Gürtel. Der silberne Totenkopf, der die Gürtelschnalle verzierte, blitzte im Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Autos grell auf. Sein Blick streifte den Saum seiner Hose und blieb dann an den dunklen Stiefeln hängen. Seine Neuanschaffung. Er war gespannt was die anderen darüber sagen würden.  Schon von weitem konnte er die Bahn hören. Sie bog um die Ecke und blieb dann quietschend in der Station stehen. Mark stieg ein. Intuitiv prüfte er die anderen Fahrgäste. Ein Rentnerpaar, einige Punks und eine Mutter samt kleiner Tochter. Mark ließ sich in einen Sitz fallen und kramte seinen Mp3-Player heraus.

Trivia Teil 2 folgt in den nächsten Tagen. Habt ihr Vorschläge oder Fragen zum Text oder der Entstehung? Dann immer her damit!

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Bis ich so mutig bin wie du brauch ich noch lange

„ich lauf den Bahnsteig lang, flankiert von Polizei. Als Musikant bist du nicht besser als ein Dieb.

Doch du läufst nebenher und schreist die Bullen an. Ich kenn dich nicht, doch danke dir dafür.  Manchmal wartet man Wochen lang auf Momente so wie den und Tränen tropfen nass von meiner Wange.  Ich denk an dich du alte Frau und denk an deine Wut. Bis ich so mutig  bin wie du brauch ich noch lange…“

 

– Dies ist ein Ausschnitt aus einem Lied von Konny. Er beschreibt daran Reaktionen auf seine Musik als politischer Straßenmusiker und die Begegnung mit einer alten Frau, die ihm Kraft gibt.

 

 

Ein Abend in der Stadt. Transparente hängen aus den Fenstern eines Altbaus. Die Straße davor ist mit Flatterband abgesperrt. Cops in Kampfanzügen stehen auf der Straße. Davor eine Menschenmenge. Die Stimmung ist aufgeheizt. Vor dem Haus räumen Cops eine Barrikade aus Sperrmüll beiseite. Sprechchöre übertönen ihre Versuche ins Haus zu gelangen.  Ein kleineres Gerangel heizt die Stimmung weiter auf.  Gesichter verschwinden hinter Tüchern  und in Kapuzen.  Flaschen fliegen.  Du stehst vor uns, unberührt und schreist die Cops an. Kommst  ihnen immer näher. Deine Arme gestikulieren wild, deine Augen funkeln voller Wut.  Die Cops setzen Pfefferspray ein. Leute ziehen sich zurück. Noch immer schreist du die Cops an, streichst dir dein langes graues Haar aus dem Gesicht, findest ermutigende Worte für die Menschen um dich herum.

Als die Cops vorstürmen bleibst du einfach vor ihnen stehen während wir zurückweichen und uns neu sammeln.

„Danke dir dafür! Bis ich so mutig bin wie du, brauch ich noch lange.“, hallt es in meinem Kopf.

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UPDATE: „Es ist die Wut die wir teilen, aber die Liebe die uns verbindet“

Dies ist ein Blogpost den ich mit einem breiten Grinsen schreibe. Es ist soweit:

„Es ist die Wut die wir teilen, aber die Liebe die uns verbindet“  – Meine selbstgeschriebene Geschichte geht in den Druck! Jetzt kann ich es auch endlich ein Buchprojekt nennen.

8 Monate sind vergangen, seit dem ich das (un)fertige Manuskript hier veröffentlicht habe.
Nun liegt dank Mammut eine komplett überarbeitete, lektorierte und formatierte Version vor.

Außerdem verdanke ich ihm ein großartiges Cover, dass auf einem Bild von Chris Grodotzki basiert.

 

Cover

Manuskript

Einige Menschen können sich nun darauf freuen spätestens am 24.12 ein Exemplar in die Hand gedrückt zu bekommen. 😉

 

 

 

 

 

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Eines morgens in aller frühe

Die ersten Sonnenstrahlen über den Dachspitzen kündigten den anbrechenden Tag an. Unten auf der Straße ließ sich von Zeit zu Zeit ein Mensch sehen. Müde Gesichter die aus den Haustüren kamen, sich zu ihren Autos oder Rädern schleppten. Nur schwach drang der Verkehrslärm der Straße hinauf, die ins Stadtzentrum führt. Der Rahmen des Dachbodenfensters knarrte, als ich mich hinauslehnte. Ein einzelner blau-silberner Wagen parkte mitten auf der Straße. Zwei uniformierte Personen waren ausgestiegen und deuteten die Straße hinab in meine Richtung. Wie unglaublich unauffällig. Ich zog den Kopf wieder zurück und wandte mich in Richtung Treppe. „Die ersten sind da.“ Eilige Schritte auf der Treppe. Ein Kopf erschien im Türrahmen. „Wie viele?“ Noch einmal warf ich einen vorsichtigen Blick hinaus. Ein weiterer Wagen parkte gerade ein. „ Zwei, aber es werden mehr.“ Der Kopf verschwand. „Ich sage den anderen Bescheid.“ Hörte ich eine leiser werdende Stimme von der Treppe. Mein Blick wanderte zu den Gegenständen auf den Dielen vor mir. Wie viel Zeit würde uns noch bleiben? Ein paar Minuten? Eine Stunde? Ich schlug die Plane vor mir auf dem Boden auf. Eine kleine Staubwolke stieg auf und kribbelte in meiner Nase. Die Partikel schimmerten im hereinfallenden Lichtstrahl.  Wieder Schritte auf der Treppe. Die Tür wurde aufgestoßen. Menschen strömten in den Raum und griffen nach den Gegenständen. Einen Moment blickten wir uns an. „Bereit?“, fragte jemand. Wir tauschten ein letztes nicken. Kapuzen wurden aufgesetzt, Tücher hochgezogen. Das metallene Klappern der Dachluke hallte durch den Raum. Die Leiter ächzte als wir hinauskletterten. Wir verteilten uns auf dem Dach. In der kurzen Zeit waren immer mehr Fahrzeuge in der Straße aufgetaucht. Ich  warf einen unsicheren Blick nach unten. Sie waren noch nicht an der Tür. „Sind die anderen wach?“, fragte ich während ich mich an einer Antenne festhielt. Eine Gestalt neben mir griff nach einem Funkgerät am Gürtel. „Sitzt ihr schon?“ Es rauschte kurz. „Wir machen es uns gerade bequem.“ Die Straße füllte sich jetzt immer schneller mit Uniformierten. Einige deuteten zu uns hinauf. Wir verknoteten die Seile und schoben die Plane bis zur Regenrinne. Von unten blitzte eine Kamera herauf. Am Ende der Straße hatten sich mehrere Uniformierte zu einer Traube geballt und kamen nun näher. In ihrer Mitte lief eine Person im Anzug. Die Traube blieb vor der Wohnungstür stehen und musterte den Hauseingang. „Jetzt?“, fragte ich. Die anderen nickten. Wir zogen an den Seilen. Die Plane rutschte vom Dach herunter und faltete sich auseinander. „Bleiberecht überall! Kein Mensch ist illegal!“, erhoben wir unsere Stimmen. Verdutzt starrten Gesichter aus der Traube zu uns hinauf. Zwei Bengalos entflammten und tauchten uns in blutrotes Licht. Dann öffnete sich die Tür und die Traube betrat das Gebäude. Wir kletterten die Leiter wieder herunter und liefen durch den Dachboden zur Treppe. Die anderen waren lautstark zu hören. „Abschiebung heißt Folter, Abschiebung heißt Mord – Widerstand an jedem Ort.“

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