„Es ist 2015…“

„Es ist 2015…“

Ich tue mich schwer mit der Einleitung zu diesem Text. Eigentlich bin ich ziemlich sprachlos. Der Schock sitzt tief. Als ich vor einigen Jahren begann Antifa-Arbeit zu machen waren mir die Dimensionen nicht bewusst. Ich erlebte einen Niedergang der Antifa-Gruppen, Paralyse und Perspektivlosigkeit. Antifa-Arbeit, das war für mich damals das Engagement gegen die lokalen Nazi-Strukturen, die sich hier gebildet hatten. Den Blick über den Tellerrand machte ich damals nicht. Meine Erfahrungen aus diesen Jahren gibt es an anderer Stelle zu lesen.

Ich erlebte eine große Mobilisierung. Mehr als 5.000 Nazis in Dresden, Morde an politischen Gegnern, Einschüchterungsversuche, später dann die Sarrazin-Debatte. Aber das wirkte überschaubar. Auf eine zunehmend rassistische Stimmung in der Gesellschaft hinzuweisen führte dazu belächelt zu werden. Auch als ich diese These mit den „Mitte“-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung belegte, wurde ich belächelt.

Vermeintliche „Deutschenfeindlichkeit“
Der gesellschaftliche Tenor: „Das wird man doch noch sagen dürfen!“

2011 flog die NSU auf. Erschrecken. Einzeltäter-Debatte. Akten geschreddert. Staatliche Beteiligung kaum abstreitbar, aber schwer zu belegen. Nach und nach wurde deutlich das der NSU keine isolierte Zelle war, sondern ein bundes- eventuell europaweites Netzwerk.
Noch immer läuft die Asyldebatte. – rassistische Stimmungsmache seitens der CSU/CDU (https://www.youtube.com/watch?v=eJFHiJbYjEY)

Prozesse gegen Antifaschist*innen wegen Dresden. §129a-Verfahren, Massenspeicherung von Handydaten, Landfriedensbruch-Vorwürfe gegen Pfarrer und Abgeordnete.

Europa- und Weltmeisterschaften im Männerfußball. Patriotismusdebatten. Immer wieder Meldungen über verletzte „nicht-deutsche“ auf Fanmeilen.
„Man wird doch wohl noch stolz auf Deutschland sein dürfen!“

2013 dann der Anstieg der Zahlen Geflüchteter. Asyldebatte 2.0. Diskussionen um die Unterbringung.
Erste rassistische Mobilisierungen im Form von „Nein zum Heim“-Bewegungen. Marzahn-Hellersdorf. Nachwirkungen der Sarrazin-Debatte.
Die Refugeemovement entsteht – Lampedusa in Hamburg, Hungerstreik und Oplatz in Berlin, Würzburg, Wien.
Als 2.000 Refugees im Meer vor Lampdeusa auf der Fluchtertrinken, scheint es das erste mal ein Stocken zu geben. Schnell aber wird über eine bessere Abschottung der Festung Europa diskutiert.

Politischer Tenor: „Man muss mit den Anwohnern reden, ihre Ängste ernst nehmen.“

2014 – Überall sprießen rassistische „Bürgerbewegungen“ aus dem Boden. CDU-Wähler demonstrieren an der Seite von resignierten Bürgern und Neonazi-Strukturen.

Im Herbst  formuliert Neonschwarz:

Es ist 2014
Hat sich viel verändert eigentlich nicht wirklich
Hellersdorf, Schneeberg, Luckenwalde, Güstrow
Germering, Trier, Wolgast und Duisburg – was?
Die Liste ist noch länger
Wir rufen auf zu eskalieren wenn sich nicht was ändert
Weil die Scheiße passiert flächendeckend
Es wird Zeit dass wir paar Gesetze brechen
Vater Staat mag das nicht, Politik im Landtag
Per Handschlag auf dem Weg zum Brandanschlag
Refugees welcome und bringt die Familie
In der Krise, Bürgerinitiativen
Agieren unterm Deckmantel
Kein Flüchtling lebt wie die Made im Speckmantel


Diverse Stiftungen führen Statistik über die Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte. Die Zahl steigt im Jahr 2014 rasant an.
Die AfD verbucht immer mehr Erfolge, wird zum politischen Sprachrohr einer intellektuellen Rechten.

Aus dem nichts taucht ein neues Phänomen in der Öffentlichkeit auf. „Islamkritik“ – Ethnopluralismus. Ein Konzept über das die intellektuelle Rechte Europas seit Jahren diskutiert. Ein „Europa der Völker“, das sich nicht durch Volkszugehörigkeit, sondern gemeinsame Werte und Traditionen gegen eine Bedrohung des Islams abgrenzt, ist der Gedanke dahinter.

Wir erleben „Hooligans gegen Salafisten“ – einen gewalttätigen rassistischen Mob in Köln. Aus der Demonstration heraus werden Wohnungen und ein asiatisches Restaurant angegriffen. Allseits mediale Empörung. Die erfolgreiche Wiederauflage in Hannover scheitert an der staatlichen Repression.

Der nächste Testballon der neu rechten Bewegung wird zum Erfolg. Zum Ende des Jahres mobilisiert ein rechts-konservatives Netzwerk unter dem Titel „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ Tausende. 2014 erlebt die BRD die größten Aufmärsche rassistischen und rechtsextremen Gedankengutes seit den 40er-Jahren. Dresden schafft es zum Jahreswechsel auf mehr als 20.000 Demonstranten. Anfang 2015 werden es noch mehr. Am Rande der sich ausbreitenden „-GIDA“-Demos kommt es immer wieder zu Angriffen auf Geflüchtete, Migranten und Antifaschistinnen. So in Köln, Düsseldorf, Dresden, Leipzig, Würzburg und Hannover.
Die Gegenmobilisierung verläuft erst schleppend. Der „Zivilgesellschaft“ schafft es nur vereinzelt diese Demonstrationen zu stoppen. Der Fokus liegt auf einer symbolischen Gegenbewegung. Symbolische Zeichen, Selbstvergewisserung.

Anfang 2015. Während 25.000-28.000 PEGIDA-Anhänger durch Dresden ziehen, trauen sich Refugees nicht aus ihrer Unterkunft. Einer verlässt am Abend die Wohnung. Am Morgen wird er blutüberströmt auf der Straße gefunden. Tot.
Seine Freunde berichten von sichtbaren Verletzungen. Die Mordkommission ermittelt.

https://www.youtube.com/watch?v=23ThdwtZlbM

(Alle Angaben und zeitlichen Einordnungen ohne Gewähr.) – Einzelnachweise liefere ich gerne nach.

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