Schreibübung oder eigenständiger Text?

Ich hatte das Flair von Hotellobbys schon immer gehasst. Diese akzentuierenden Pflanzen in den Ecken, die ausgesessenen aber luxuriös wirkenden Couches, Beistelltische mit glänzenden Glasflächen. Darunter Zeitschriften die eh niemand las. Diese Räume waren auf wohnlich getrimmt. Ihre Funktion war, den Ankommenden einen guten Eindruck zu vermitteln. Niemand hielt sich hier gerne auf. Das Klackern der Absätze meiner Lackschuhe hallte durch die Halle. Zielstrebig ging ich auf die Rezeption zu. Der Concierge hatte kurz aufgeblickt als ich eingetreten war. Nun starrte er konzentriert auf einen Bildschirm vor sich. Lange genug um mir das Gefühl zu geben nicht wichtig genug für seine volle Aufmerksamkeit zu sein. Diese Überheblichkeit würde ihm gleich vergehen. „Was kann ich für sie tun?“, fragte er endlich. Diese wenigen Worte drückten das gleiche wie die Geste mit dem Bildschirm aus. Er hatte es nicht gesagt. Er hatte es mehr geseufzt. „Scheidemann. Ich habe reserviert.“, sagte ich knapp und legte meine Aktentasche auf der Rezeption ab. Er zog wieder seinen Bildschirm zu rate. Ich wartete auf den Augenblick der nun kommen würde. Seine Augen huschten von rechts nach links. Offenbar las er eine Liste. Schließlich blieben sie auf einem Eintrag stehen. Seine Pupillen weiteten sich. Er quiekte beinahe, als er schnappend Luft einsog. „Herr Scheidemann! Entschuldigen sie, ich konnte ja nicht ahnen…“ Ich grinste. „Sparen wir uns das.“ Ich trommelte gespielt ungeduldig mit den Fingerkuppen auf seinem Tresen. „Suit 401.“ Er machte Anstalten einen Pagen herbeizuwinken, der in diskretem Abstand wartete. Ich streckte fordernd die Hand aus. „Danke. Ich finde das Zimmer schon.“ Er zögerte einen Moment, bevor er mir die Karte reichte. „Wie sie wünschen.“ Ich griff nach meiner Aktentasche und wandte mich um. „Einen angenehmen Aufenthalt!“, rief er mir hinterher.

Mein Gesicht spiegelte sich in der Armatur des Aufzugs. Ich hatte in den letzten Wochen einige Falten dazugewonnen. Surrend setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, nachdem ich die Chipkarte durch das Lesegerät gezogen hatte. Ich warf einen zweiten Blick auf mein goldgefärbtes Spiegelbild. Bildete ich mir das nur ein, oder hatte ich tatsächlich Geheimratsecken bekommen? Ein dezentes pingen kündigte meine Ankunft im vierten Stock an. Direkt dem Fahrstuhl gegenüber lag der Eingang zu 401. Ich betrat den Raum und warf die Chipkarte in eine Schale auf einer Kommode. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Endlich Ruhe! Mit zügigen Schritten durchquerte ich den Raum und trat an die Balkontür. Sie war nicht verriegelt. Vor mir tat sich die Alster auf. Schwäne zogen ihre Bahnen durch das Wasser. Am Ufer tummelten sich trotz der fortgeschrittenen Tageszeit Touristen und Jogger. Diese Stadt änderte sich nie. Ich drehte mich um und musterte den Raum. Zur Schau gestellter Luxus. Vergoldete Armaturen, teurer Teppich, Hightech-Fernseher und Hifi-Anlage Ich durchschritt den Raum und öffnete die Minibar. Champagner, Softdrinks und tatsächlich das was ich gesucht hatte. Lokales Bier. Ich nahm die Flasche heraus und öffnete sie mit dem in den Kühlschrank integrierten Öffner. Es schmeckte köstlich. Ich nahm die Flasche mit und ging unter die Dusche.

Als ich zurück ins Wohnzimmer trat erwartete mich mein Gepäck. Es war nicht ins Schlafzimmer geräumt worden, sondern stand im Flur. Vermutlich eine kleine Revanche des Concierge. Ich packte meinen Laptop aus und entnahm der Aktentasche den kleinen grünen USB-Stick. Bevor ich den Laptop startete steckte ich ihn an das Gerät. Der Startbildschirm erschien und forderte mich auf das Passwort einzugeben. Ich tippte die fünfzehnstellige Kombination ein und schaute auf die Uhr. Mir blieben noch zweieinhalb Stunden. Genug Zeit um mich auf das Gespräch vorzubereiten. Schmunzelnd blickte ich auf die Daten vor mir auf dem Bildschirm. Sie waren ein Tor zur Vergangenheit. Ich spürte die Geschichte die sie erzählten fast körperlich. Sie war greifbar. Das hatte mich schon immer bewegt. Als Kind hatte ich viel im Wald gespielt. An einer Stelle nahe am Waldrand gab es einen ovalen Hügel. Mitten im ebenen Wald. Ich hatte ihn unzählige male erklommen und darauf gesessen. Von oben konnte man den Wald gut überblicken. Ein idealer Punkt um beim Verstecken spielen die anderen von weitem zu erspähen. Von dort konnte man auch die Senken im Wald sehen. Kleiner als der Hügel. Mehrere Meter tief. In einem hatten wir einmal Metallsplitter gefunden. Es hatte eine große Aufregung gegeben. Die Polizei war angerückt. Dann der Kampfmittelbeseitigungsdienst. Ein schweres Wort für ein Kind. Sie hatten nichts mehr zum beseitigen gefunden. Am Tag danach vergruben wir unsere Ausbeute in einem Versteck. Splitter britischer Bomben. Keine hatte das alte Hügelgrab getroffen. Was in ihm ruhte, ruhte dort weiter und verbreitete das Gefühl die Vergangenheit berühren zu können..

Hotellounges faszinierten mich. Wenn die Lobby eines Hotels dem Gast etwas vorspielen sollte, so war es die Lounge, die einem Gast etwas über das Hotel verriet. Die Beleuchtung, die Musik, die Stimmung der Gäste und der gebotene Service. Ich schmunzelte unwillkürlich als die automatische Tür vor mir aufglitt. Sofort stieg mir ein unverkennbarer Geruch in die Nase. Nicht belästigend, sondern angenehm. Ich roch Zigarren und mehrere Whiskynoten. Echten Whisky, nicht das Zeug aus dem Supermarkt. Das Licht war gedämmt. Die Lampen strahlten unaufdringliche Blautöne aus. Ein warmes Blau. Dunkle Sessel, Couches und Mahagonitische. Das Geräuschbett wurde von Pianoklängen getragen. Ich erkannte den Song bevor die Stimme einsetzte. Wie passend.


With your feet on the air
And your head on the ground
Try this trick and spin it, yeah
Your head’ll collapse
And there’s nothing in it
And you’ll ask yourself

Where is my mind?

Die Gespräche der anderen Gäste verloren sich darin. Das leise klirren von Glas aus Richtung der Theke passte sich ein und störte nicht. Ich nickte der Barkeeperin knapp zu und suchte mir eine abgelegene Sitznische von der aus ich die Tür im Auge behalten konnte. Eine alte, zur Routine gewordene Gewohnheit. Die Barkeeperin trat an meine Nische. „Kann ich Ihnen schon etwas bringen?“ Ich warf einen kurzen Blick auf die Flaschen über der Bar. „Sullivan. Pur. Ohne Eis.“ Sie lächelte und verschwand. Während sie die von mir anvisierte Flasche aus dem Regal hinter der Theke nahm, zog ich mein Netbook aus dem Etui. Das Licht des Bildschirms durchbrach das Beleuchtungskonzept. Schnell pegelte ich die Helligkeit herunter. Ich öffnete mehrere Dateien und versank erneut im Inhalt. Ein Schatz, keine Frage. Er würde unangenehme Fragen aufwerfen. Fragen, die sich Menschen stellen lassen mussten. Fragen, die auch ohne Antworten etwas zerstören und verändern konnten. Konnten? Würden, verbesserte ich mich gedanklich. Ein Schatten fiel auf mich. Die Barkeeperin stellte den Tumbler mit einem gedämpften Klirren auf dem Tisch ab, nickte mir zu und entschwand. Ich klappte das Netbook zu, lehnte mich zurück und lies die Geruchsnote auf mich wirken. Unverkennbar Eiche mit diesem gewissen tropischen Etwas. Ich benetzte die Lippen. Süßer Malz. Vorsichtig sog ich Luft ein. Da war es. Bitterschokolade. Kein anderer Whisky konnte das. Ich schloss genießerisch die Augen. Das sanfte Brennen im Rachen setzte ein. Die Barkeeperin hatte mich richtig eingeschätzt. Ich bewunderte sie dafür. Alles an mir schrie eigentlich danach, dass ich hier nicht hingehörte. Sie hatte dennoch keinen jungen Jahrgang gewählt. Dieser war mindestens 16 Jahre alt. Ich gönnte mir einen weiteren Schluck und schaute an mir herab. Das Sakko war an den Schultern einen Hauch zu breit und spannte an der Hüfte. Das Hemd war noch steif und die Anzughose im Schritt zu weit. Im Tumbler spiegelte sich mein Gesicht. Der Bart gestutzt, die Haare über die Geheimratsecken gekämmt. Vor einer halben Stunde auf dem Zimmer hatte ich es für einen klugen ironischen Zug gehalten die Sneakers anzuziehen. Nun kam ich mir unfassbar albern in ihnen vor. Dieses ganze Theater war unfassbar albern. Aber sie hatten es so gewollt.

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