Ich habe damals da auf dem Acker meinen Helm verloren & Ein Aufruf an „die Alten“

„Ich habe damals da auf dem Acker meinen Helm verloren.“ – Als die Person diesen Satz sagt, bin ich elektrisiert. Gerade sprachen wir über den Widerstand gegen das AKW-Brokdorf. AKW-Gegner, nun das war er. Das ist er. Das ist für mich nichts neues. Auch das er an den großen Anti-AKW-Dmeos teilgenommen hat, wusste ich. Aber mit Helm? Das setzt einiges voraus. Er redet darüber nicht weiter, übergeht Nachfragen. Ab einem bestimmten Punkt blockt er ab. Warum? Ich sehe ihn nun in einem anderen Licht. Da steckt mehr dahinter. Warum er wohl nicht darüber redet? Etwaige Straftaten sind mittlerweile verjährt, sein Charakter und seine Einstellungen haben sich geändert. Sein Blick auf die Welt ist nüchterner geworden. Wieso also nicht über die Zeit reden, die ihn damals geprägt hat?

Auch spätere Nachfragen bringen keinen Erfolg. Lediglich Andeutungen am Rande von anderen Gesprächen. Nach und nach setzt sich für mich ein Puzzle zusammen, dass viele Lücken aufweist.

Ich war versucht diesen Text mit einem längeren Absatz darüber zu beginnen, dass ich merke das in meinem politischen Umfeld ein Generationswechsel stattfindet. Der zweite den ich miterlebe. Das diese neue Generation die gleichen Fehler macht wie ich damals, zum Beispiel dass sie weniger sensibel mit Fotos umgehen. #GenerationDemoselfie. Aber das wäre am Thema vorbei.

Diese Feststellung hat vor einiger Zeit für mich etwas anderes ausgelöst. Das Interesse für autonome Geschichte. Ein Kapitel der linksradikalen Bewegung über das bisher kaum geschrieben wurde.
Wir alle kennen die Berichte der Widerstandskämpfer aus der Weimarer Republik und aus der NS-Zeit. Spartakusaufstand, Matrosenaufstand, Rote Kapelle, Geschwister Scholl. Wir alle kennen die Berichte aus der Zeit der RAF, die beinahe popkulturellen Status erreicht hat: Baader-Meinhof-Komplex, Zeitzeugeninterviews mit Claudia Roth und Joschka Fischer. Die APO, die sich bis ins letzte Atom spaltete oder den „Marsch durch die Institutionen“ antrat.

Glaubt man dem Schulunterricht, hörte an diesem Punkt die radikale Linke auf zu existieren. Friedens- und Anti-AKW-Bewegung werden den Schülern eher als „Bürgerbewegungen verkauft.“

Dann lange Zeit nichts und aus heiterem Himmel rassistische Pogrome und und eine Zivilgesellschaft die Kerzen haltend den Rechtsextremismus besiegt.

Je häufiger ich mit den jüngeren Genoss*innen rede, um so mehr sehe ich, dass ihnen ein Bewusstsein für die letzten 35 Jahre linksradikaler Bewegung fehlt.

Auf der anderen Seite sehe ich ältere Genoss*innen, die über diese Zeit nicht reden, oder verleugnen, dass sie Teil von Hausbesetzungen, Recherchegruppen, Antifa-Schutzstrukturen oder militanten Demonstrationen waren.
Nur selten sprechen diese Menschen offen über „ihre Zeit“, ihre Fehler, ihr handeln – aus dem wir so viel lernen könnten – Das ein (Selbst)Bewusstsein für die Strukturen schaffen könnte.*

Diese jüngere Generation bewegt sich wie selbstverständlich in den Squats und Freiräumen, die einst von dieser alten Generation erkämpft und verteidigt wurde, sie führt die gleichen Diskussionen wie „die Alten“ – ohne von ihrem Diskussionsprozess zu profitieren.
Sie bewegt sich ohne ein Bewusstsein an den Orten, an denen einst große Proteste stattfanden, an denen Menschen aus der alten Generation für ihre Ideale ihr Leben ließen.

Für eine linksradikale Erinnerungskultur! Der Blick nach vorne fällt leichter im Bewusstsein was hinter einem liegt!

(Ja, dieser Text darf und soll als Aufforderung an „die Alten“ verstanden werden, mit den „Kids“ ins Gespräch zu kommen und die eigene Geschichte aufzuschreiben!)

*Ausnahmen: Geronimo – Feuer und Flamme I / Feuer und FlammeII

http://www.nadir.org/nadir/archiv/Diverses/pdfs/geronimo_flamme.pdf

http://www.nadir.org/nadir/archiv/Diverses/pdfs/geronimo_flamme2.pdf

Das Projekt „Autonome in Bewegung“ http://autox.nadir.org/

Bernd Langer – „Operation 1653“ / Sven Regener „Neue Vahr Süd“ (Belletristik)

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