Conti

Die alte Fabrikruine ist schon von weitem sichtbar. Wie eine verlassene Festung erhebt sie sich über die Kleingärten und den Kanal. Von dem einst stattlichen Fabrikgelände sind nur noch zwei Bauten übrig geblieben. Die Fertigungshallen. Beide sind mehrere Stockwerke hoch. Die letzten Spuren einer düsteren Vergangenheit. Auch wenn hier seit mehr als 50 Jahren nichts mehr produziert wird, der Ort lebt weiter. An einigen Stellen haben die Naturgewalten ihre Spuren hinterlassen, an anderen Stellen sind die Spuren unverkennbar menschlich. Die Wände sind über und über bemalt, besprayt, verändert. Ein riesiges Kunstwerk. Ein Kunstwerk, dass Kulisse war für Fotos, Filme, Pornos, Beziehungsdramen, schöne Momente.

Ob die Menschen die hier ein und ausgehen sich noch an die Vergangenheit erinnern?

Ob sie um die Vergangenheit dieses Geländes wissen?

In dieser Fabrik wurden einst Reifen produziert. Hauptsächlich für einen Wagen der als „Wagen für das Volk“ gedacht war. Der Kanal an dem ich hier stehe führt zu einer Stadt die einzig zu diesem Zweck gebaut worden war und damals „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ hieß.  Später wurde sie in Wolfsburg umbenannt. Und aus dem KdF-Wagen wurde der VW.

Nur diese Fabrik produzierte weiter ihre Reifen. Vor dem Krieg, während des Kriegs und auch danach.

An der Stelle am Kanal an der ich stehe waren einst Barracken, Hütten, eingezäunt und bewacht. In ihnen lebten jene, die für die Nazis Abschaum waren. Abschaum den sie noch ausnutzen konnten. Sie wurden zur Arbeit für die Kriegsmaschinerie gezwungen. Jene die die Qualen der Zwangsarbeit überlebten wurden kurz vor Ende des Kriegs auf die Vernichtungsmärsche geschickt.

Und heute? An der Stelle an der einst die Barracken standen, wachsen nun Kartoffeln neben Gärtenhäuschen und gestutzten Hecken, über denen die Deutschlandflagge an großen Masten weht. Eine deutsche Kleingartenkolonie steht auf dem Boden, in dem einst die geschundenen Ermordeten verscharrt wurden. An sie erinnert nichts mehr.

Nun soll ein kühnes Bauprojekt das verlassene Fabrikgelände ersetzen. Wo Sprayer, Fotografen und Entdecker ein und aus gehen soll eine Wohnsiedlung entstehen. „Wohnen am Kanal.“ / „Wasserstadt“

Keine Zeit, Kein Ort mehr um sich zu erinnern.

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