„Seid ihr jetzt zusammen?“

Disclaimer: Text enthält Ansichten eines privilegiert-weiß-biologisch-männlichen Menschen.

 

„Und?“ Ein kurzes Zögern. „Seid ihr jetzt zusammen?“ Der Mensch mir gegenüber grinst vielsagend. Ich schweige einen Moment und gehe im Kopf verschiede Antwortmöglichkeiten durch. „Nein.“ Der andere Mensch runzelt die Stirn. „Aber ihr…?“, setzt er an. Ich verschränke die Arme, noch immer unschlüssig wie ich auf die Situation reagieren soll. Der andere Mensch lässt den Satz unausgesprochen. Er muss ihn auch gar nicht aussprechen. Ich weiß was er sagen will. Diesen Dialog habe ich in den letzten Tagen mehrfach geführt. Mittlerweile bin ich genervt davon. „Aber ihr kuschelt und küsst euch doch sichtbar. Ihr sucht gegenseitig eure Nähe und verbringt viel Zeit miteinander. Du übernachtest bei ihr.“ Ich entscheide mich so zu antworten wie zuvor. „Na und? Müssen wir dafür in einer festen Beziehung sein?“ Jetzt verschränkt auch mein gegenüber abwehrend die Arme. „Nein, aber…“ Ich wende mich ab. „Na also“, murmle ich im weggehen.

 

Diesen Dialog habe ich in den letzten Tagen mehrfach in linken Zusammenhängen geführt. Und bin noch immer genervt und ein bisschen enttäuscht. Sogenannte radikale und emanzipatorische linke Zusammenhänge, in denen es anscheinend in den Köpfen nur Beziehung und keine Beziehung gibt. Kein Gedanke, kein Verständnis für etwas dazwischen. Was ist aus den Ansätzen der 68er-Bewegung geworden? Freie Liebe als Antwort auf die bürgerlich-eheliche Zweierbeziehung war der Ansatz. Zum Ende der 90er schwappten in die radikale in Linke die Ideen von Polyamory. Seither gibt es zahleiche Arbeitsgruppen, Konzepte und dokumentierte praktische Umsetzungen. Auch offene Beziehungen sind im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts doch eigentlich kein unbekanntes Konzept mehr.

Wieso also muss ich mich für Gefühle und Zärtlichkeiten, die beide beteiligte Menschen nicht in eine Schublade oder Kategorie zwängen wollen, rechtfertigen?

Wenn der geistige Horizont schon hinter der heteronormativen Zweierbeziehung endet, wie soll dann Platz in den Köpfen dieser Menschen für Homosexualität, Queer, Gender Studies, Polyamory oder Intersexualität sein?

Nicht zuletzt ist ein Aufbruch und das ausprobieren anderer zwischenmenschlicher Beziehungskonzepte schließlich auch ein wichtiger Tragpeiler des feministischen Kampfes, den sich diese radikalen linken Zusammenhänge seit einigen Jahren so sehr auf die Fahnen geschrieben haben.

Aber die Bekämpfung patriachaler Strukturen, so scheint mit immer mehr, hört hinter der Emanzipation im Black Block und in Sportgruppen schnell auf.

Wo war ich stehen geblieben? Viele Menschen wissen um erwähnte andere Konzepte von  zwischenmenschlichem Miteinander und doch scheinen sie noch so wenig präsent zu sein, dass grundsätzlich vom herkömmlichen Beziehungskonzept ausgegangen wird.

Was hilft?

Reden, ausprobieren, andere Konzepte leben und nach außen zeigen. Auch ihr seid gefragt!

 

 

Dieser Beitrag wurde unter General veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.