Über das Thema, dass mir gerade im Kopf herumschwirrt haben schon viele Anarchist_innen geschrieben. Es ist nicht leicht zu erklären, hat mit Gefühlen und konkretem Handeln zu tun. Vor allem aber mit Beeinflussung und bewusster Manipulation über fast zwei Jahrhunderte. Anarchie? Was für Bilder hat mensch dazu im Kopf? Chaos, brennende Häuser, Krieg und Leichen? Glückwunsch. Auch du hast dich beeinflussen lassen. Selbst die Tagesschau nutzt „Anarchie“ als Bezeichnung für Länder in denen gerade Bürgerkriege passieren. „in XY herrscht Anarchie“.
Dabei begegnet uns schon die zweite Beeinflussung. „Anarchie“ kommt vom altgriechischen an-archia. Die Ablehnung von Ordnung bzw Gegenordnung. Der Wortstamm ist auch in Hierarchie sichtbar. Es geht um die Ablehnung von Herrschaft. Anarchie herrscht nicht. Sie ist.
Die Lehre von der Anarchie wird Anarchismus genannt. Schlägt mensch im Wörterbuch oder einer (Online-) Enzyklopädie nach, ist festzustellen dass da doch mehr dahinter steckt als Chaos und Zerstörung.
Nun, es gab in der Vergangenheit auch Menschen die sich Anarchisten nannten und mit Mord und Zerstörung versuchten ihre Utopie einer anderen Welt zu erkämpfen. Eine ganze Liste dieser Attentate gibt es hier. http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_anarchistischer_Attentate
Der Gedanke hinter diesen Attentaten ist das Konzept der „Propaganda der Tat“. Wobei durch gezielte Aktionen auf etwas hingewiesen werden soll. Auch heute nutzen Anarchist_innen (und nicht nur diese) dieses Konzept noch. Heute spricht die Bewegung von „direkten Aktionen“. Prominente Beispiele sind Farbbeutel oder Eierwürfe auf Politiker oder Firmenzentralen. Aber auch andere, nicht-militante Aktionen oder Handlungsweisen können darunter gefasst werden. Zum Beispiel Sitzblockaden vor Nazi-Aufmärschen.
Wir alle kennen Anarchist_innen und die Früchte ihres Kampfes, ihre Werke. So zum Beispiel die Lieder von Rio Reiser, ehemaliges Mitglied der Band Ton Steine Scherben, oder die Filme der britischen Kabarettisten Monty Phyton. Oder aber die Erziehungskonzepte von Rudolf Steiner, der Begründer der Walldorf-Pädagogik. Wir alle kennen Punks, Punk-Musik und die DIY-Bewegung. All das sind Beispiele für Früchte von bekannten Anachist_innen.
Es gibt Menschen, die sich irgendwann in ihrem Leben mit der Gesellschaft in der sie leben auseinandersetzen, theoretische Texte lesen und dann beschließen Anarchist_innen zu werden.
Es gibt Menschen die vorher politisch aktiv waren und sich dann von anderen Gesellschaftsformen wie Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus abwenden und Anarchist_innen werden.
Es gibt aber auch jene Menschen, die sich nicht Anarchist_innen nennen und dennoch welche sind. Ich habe bisher im Text bewusst ausgelassen was Anarchismus ist. Das überlasse ich dem Leser.
Anarchist_innen sind Menschen, die Widerstand in die Herzen anderer Menschen tragen. Die im gespräch Hoffnung und Lust machen, auf eine andere Gesellschaft, eine andere Zukunft.
Anarchist_innen sind Menschen, die Autoritäten hinterfrage und sie ablehnen. Die Polizisten und Kontrolleure stressen oder sie bei ihrer Arbeit behindern.
Anarchist_innen sind Menschen, die anderen Menschen helfen, sie unterstützen. Die mit ihnen zu Ämtern gehen.
Anarchist_innen sind Menschen, die Kindern beibringen selbstständig zu leben, Dinge kritisch zu hinterfragen.
Anarchist_innen sind Menschen, die Schule oder Arbeit schwänzen und ihre Zeit so verbringen wie sie es für richtig halten.
Anarchist_innen sind Menschen, die sich nicht von anderen Mitmenschen unterdrücken lassen und selbstbestimmt denken und handeln.
Anarchist_innen sind Menschen, die Tauschbörsen organisieren.
Anarchist_innen sind Menschen, die Blitzer und Kameras sabotieren.
Anarchist_innen sind Menschen, die soziale Kontaktnetzwerke schaffen.
Anarchist_innen sind Menschen, die Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung leisten.
Anarchist_innen sind Menschen, die Freiräume für jene schaffen, die in der Gesellschaft ausgegrenzt werden.
Anarchist_innen sind Menschen, die allen, egal welchen Geschlechts, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung gleich begegnen und sie wertschätzen.
Anarchist_innen sind Menschen, die im Supermarkt klauen und die erbeutete Ware dann im Freundeskreis verteilen.
Anarchist_innen sind Menschen, die nachts Wände bemalen, Nationalflaggen klauen.
Anarchist_innen sind Menschen, die Tiere aus Schlachthöfen befreien.
Anarchist_innen sind Menschen, die in Betrieben gegen Vorgesetzte rebellieren.
Anarchist_innen sind Menschen, die Fabriken sabotieren.
Anarchist_innen sind Menschen, die ihr Pfand nicht wegwerfen, sondern neben den Mülleimer stellen.
Anarchist_innen sind Menschen, die essbares aus den Müllcontainern klauen, statt es teuer einzukaufen.
Anarchist_innen sind Menschen, die Zäune und Mauern sabotieren und anderen neue Wege eröffnen.
Anarchist_innen sind Menschen, die in diesem Moment auf Dachböden, Häuserdächern oder in Parks sitzen und über ihr Träume von einer befreiten Gesellschaft reden.
Bist auch du Anarchist_in?
Alle diese Beispiele zeigen wie Anarchist_innen versuchen den Einfluss des Staates zu minimieren, Menschen dazu bringen sich selbst zu organisieren, nicht auf Autoritäten zu setzen, und dem Kapitalismus immer wieder die Zunge herauszustrecken.
All das ist Propaganda der Tat. All das ist gelebte Anarchie im Alltag.