Es ist einmal, in nicht all zu langer Zeit XI

Nach drei Monaten Pause folgt hier Teil elf der unregelmäßig fortgesetzten Utopie/Dystopie.

Hier geht’s zu Teil zehn. So fing alles an (Teil eins)

Vor vielen Jahren, als wir gerade den alten Hof besetzt hatten, nachdem die emanzipatorischen Demonstrationen niedergeschlagen wurden, reagierten die faschistischen Gruppen durch ihre Solidarität mit dem Staat und der USA.  Für uns war das zu erst irritierend, gaben sie sich damals doch noch deutschtümelnd und antikapitalistisch. Die Erklärung dafür war simpel. Nach den Neuwahlen hatten die Republikaner die Macht erlangt und sofort die Grenzen geschlossen. Damit reagierten sie auf den zunehmenden Flüchtlingsstrom aus Südamerika. Hinter der US-Grenze wurden Auffanglager gerichtet, in denen die Flüchtlinge auf ihre Rückführung warten mussten. Bei Massenanstürmen auf die Grenzanlagen setzte die USA die Armee ein. Dieses Beispiel begrüßten die Faschisten, die sich zunehmend als Europäer unterschiedlicher Nationen begriffen und ihre Feinde nicht mehr im Nachbarstaat, sondern im Islam und den Ländern des nahen Osten suchten. Ich hatte vor Zorn schnaubend ein stundenlanges Plenum verschiedener Gruppen verlassen, dass eilig einberufen worden war. Am Vortag hatten die Medien von einem neuen Antrag im EU-Parlament berichtet, den Deutschland einbringen wollte. Die Mitgliedsstaaten sollten Kontingente ihrer Armeen zum Schutz der EU-Grenzen abstellen. Ich hatte im Plenum darauf gedrängt, dass wir den Flüchtlingen vor Ort helfen sollten, in dem wir die Grenzanlagen sabotierten. Das Plenum hatte mich niedergeredet. Der Großteil der Leute wollte lieber das deutsche Militär im Hinterland angreifen und so durch die Symbolik und den Sachschaden ein Zeichen setzen. Ich hatte hier gesessen, während die blutrote Sonne unterging und Steine in den See geworfen. Laura war aufgetaucht und hatte versucht mich zu beruhigen. „Wir haben keine Zeit mehr! Wenn die jetzt die Flüchtlinge einfach abknallen und das niemand verhindert, dann etabliert sich das Militär damit wieder endgültig in der Gesellschaft“, hatte ich geschrien. „Du argumentierst mit Zeitgründen?“, hatte Laura gefragt. „Ja verdammt!“ Ich war noch immer außer mir. „Was du sagst klingt ja vernünftig, aber deswegen mit der ablaufenden Zeit Druck auszuüben ist hinterhältig. Damit verschließt du dich für eine sachliche Argumentation.“ Wir hatten uns angeschrien bis die Sonne untergegangen war. Danach schworen wir uns, nie wieder so zu diskutieren. Daran will mich Laura wohl erinnern. Ich höre Schritte auf den Holzbohlen. Laura erscheint im morschen Türrahmen. „So so, Zeitgründe.“, sage ich und grinse. Laura sieht erschöpft aus. Aber offenbar hat sie keine körperlichen Verletzungen vom Kampf davongetragen. „Hast du die Botschaft verstanden?“, fragt sie und setzt sich neben mich auf den Steg. „Ich glaube schon. Die Diskussion in der LFNA verläuft sehr emotional? Keine Einigung in Sicht?“ Sie lacht. „So ähnlich. Es gibt einen Aufruf an die Soldaten der US-Armee sich zu ergeben und überzulaufen. Ein Teil der Delegierten der LFNA will jetzt abwarten und auf die Kapitulation warten. Der andere Teil fordert den weiteren Vormarsch und die Einnahme von Washington. Die Zeit sei gekommen, sagen sie.“  Ich gluckse amüsiert.  „Die Solidaritätsaktionen der Faschisten hat es fast überall gegeben. Es gibt Hinweise, dass die US-Regierung dazu aufgerufen hat Druck im feindlichen Hinterland zu machen.“ „Das kommt mir bekannt vor.“ Ich denke an die Ideen des Plenums vor vielen Jahren. „Wissen wir war über die Gruppe die uns angegriffen hat?“, frage ich und schleudere einen Kiesel in den See. Laura zieht ihren Digitalen Assistenten aus der Tasche und ruft eine Bildcollage auf. Bilder der Drohnenkamera sind älteren Fotos gegenübergestellt. Die Fotos, die von der Drohne aufgenommen wurden, zeigen vermummte und behelmte Menschen. Gesichts- und Augenmerkmale sind markiert. Pfeile zeigen auf die älteren Bilder. „Das sind Faschisten hier aus der Region. Offenbar organisieren die sich trotzdem weiter. Einige alte Bekannte von uns sind auch dabei.“ Ich scrolle die Bilder durch. Tatsächlich erkenne ich auf ein paar Fotos die Gesichter von Neonazis, die uns als junge Aktivisten schon gegenüber standen. „Was machen wir jetzt damit?“, frage ich Laura. „Wir wollen die Aufnahmen beim nächsten Plenum der Lokalföderation zeigen und dann entscheiden.“ Ich blicke auf. „Aber was soll mit denen geschehen? Wir können sie ja schlecht einsperren.“ Laura steckt den Assistenten wieder weg. „Das alte Problem…“ Sie seufzt. Unsere Idee war, ihnen die Essensrationen zu kürzen und sie vom Zugang zu den kollektivistisch erwirtschafteten Gütern  auszuschließen. Oder ihnen die Ausreise in die USA nahezulegen. Soziale Isolation wäre auch noch eine Option.“  Ich nicke. „Das ist auf jeden Fall als die Mittel die damals angewendet wurden.“ Laura berührt mich an der Schulter. „Die Mittel die wir damals angewendet haben. Vergiss das nicht.“ Wie könnte ich das vergessen! In den ersten Monaten waren wir kaum besser. Wir hatten mit den Mitteln gekämpft, die wir im Kapitalismus kennen gelernt hatten. Unterwerfung und Bestrafung. Auch mit körperlicher Gewalt. „Aber meinst du nicht, die werden sich dann wieder zusammenschließen, wenn wir sie komplett aus unserer Gesellschaft ausschließen?“, frage ich. „Die greifen uns organisiert an! Ich glaube, die sind besser vernetzt als wir es geahnt haben.“ Ein Schatten legt sich über den See. Ein Luftschiff zieht im Sinkflug über den See hinweg. „Komm, lass uns zum Gemeinschaftshaus gehen. Das Abendessen macht sich nicht von alleine.“

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