Es ist einmal, in nicht all zu langer Zeit… VIII

Durch die Bewegung der Drohne war die Kamera in die Horizontale geschwenkt worden. Die Perspektive, die sich mir bietet, wirkt als wäre ich auf einen hohen Baum geklettert. Nun sehe ich nicht nur ein paar rote und orange Umrisse auf dem Weg. Zwischen den menschlichen Umrissen bewegen sich matt orange schimmernde längliche Konturen die die Größe eines Menschen um mehr als das doppelte übersteigen. Das markante wippen des vorderen Teils dieser Kreaturen fällt mir sofort auf. „Walker!“, schreie ich entsetzt. Gebannt starre ich auf den Bildschirm. Hinter mir drängen sich Menschen um den Schirm und folgen meinem Blick.  „Schnell, holt die Leute rein!“, kreischt Tom. Ich reiße mich los und sprinte zum Tor. In diesem Moment setzen die beiden Lieferwagen am Tor beide ein Stück zurück. Durch die entstandene Lücke drängen sich die zurückkommenden Menschen. Einige bluten heftig. Wo zur Hölle war Laura? Eine weitere Leuchtrakete explodiert mit einem dumpfen Knall über dem Wald. Noch immer strömen Menschen durch die Lücke zwischen den Lieferwagen am Tor. „Rick?“, ruft jemand meinen Namen von der Seite. Ich wirble herum. Vor mir steht Micha, ein altes Gewehr in der Hand. „Micha! Hast du Laura gesehen?“ Sein Blick wandert zum Wald. „Die war eben noch hinter mir.“, sagt er dann leise. Noch während er spricht drängt sich eine Warnung aus meinem Unterbewusstsein in mein Hirn. Irgendetwas hatte sich grade eben verändert. Etwas, dass nichts Gutes bedeuteten konnte. Ich sehe wie Micha weiterredet und dabei gestikuliert. Aber ich höre seine Stimme nicht mehr. Was stimmte hier nicht? Welches anscheinend wichtige Detail nahm ich gerade nicht wahr und wieso hatte mein Kopf entschieden Michas Bericht nicht hören zu wollen? Nicht hören… Nicht hören… Mein Blick löst sich von Micha und wandert zum Wald und die Anhöhe hinauf. Die Menschen im Wald hatten die Verfolgung anscheinend eingestellt. Vereinzelt erkenne ich ihre Umrisse nun auch mit dem bloßen Auge. Sie stehen einfach nur da. Das knallen der Gewehrte hatte aufgehört! Sie schossen nicht mehr. Mit einem Mal höre ich wieder alles, als hätte jemand an einem Lautstärkeregler gedreht. Ich höre schmerzerfüllte Schreie, höre wie sich die Schutzgruppen am Tor Dinge zurufen und höre noch etwas anderes. Ein Geräusch das tief in mir einen animalischen Reflex auslöst. Flucht! Schon beginnen meine Beine sich von selbst zu bewegen. Mit größter Mühe kämpfe ich dagegen an. Das Geräusch wird immer lauter. Zwei kurz aufeinander folgende metallene Klickgeräusche, unterlegt mit einem mechanischen Surren. Ein Geräusch das ich vor vielen Jahren zu fürchten gelernt hatte. „Walker!“, rufen nun auch andere Stimmen und deuteten auf den Waldrand. Zwei dieser Kreaturen kommen in einem mörderischen Tempo die Anhöhe hinab. Entsetzt und fasziniert verfolge ich das Geschehen. Zwei metallene Wesen, etwa so groß wie Rehe, mit einem stählernen Körper und dünnen Beinen, galoppieren auf das Tor zu. Das Design und der Bewegungsapparat waren von Tieren abgeschaut worden. Das machte sie zu blitzschnellen und wendigen Maschinen. Vor vielen Jahren, als sich der langsam zusammenbrechende Staat noch mit aller Kraft wehrte, waren diese Maschinen in den Dienst der Polizei gestellt worden. Ausgestattet mit einem gepanzerten Stahlkörper, einer Abschussvorrichtung für Granaten, Tasern und einer Soundkanone, waren sie zum ultimativen Polizistenersatz für Ausschreitungen geworden. Sie konnten im Alleingang Personengruppen auseinandertreiben oder im Rudel Menschen einkesseln und außer Gefecht setzten. Mehr als einmal hatte ich mit ansehen müssen was passiert, wenn eine dieser Maschinen einen Demonstranten überrannte. Ein ohrenbetäubendes blechernes Scheppern durchdringt die Nacht. Eine der Maschinen war gegen einen der beiden Lieferwagen gesprungen. Die Menschenenge dahinter zerstobt in alle Lichtungen. Der Lieferwagen schwankt bedrohlich. Noch einmal ertönt das Scheppern. Auch der zweite Walker war gesprungen. „Rick, beweg deinen faltigen Arsch da weg!“ Das war Toms Stimme. Jemand reißt mich zur Seite. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Lieferwagen kippt. Dann kippt die Szene um 180 Grad und ein gleißender Schmerz durchzuckt meinen Körper. Lichtblitze erscheinen dort, wo eben noch das Bild vom kippenden Wagen zu sehen war. Das grelle Licht breitet sich in meinem Kopf aus und füllt jede Hirnwindung. Ich höre  das Blut in meinen Ohren laut pochen. Die Blitze erlöschen. Dunkelheit umhüllt mich.

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