Unkompliziert.

„Ich mag es, wenn es nach Beziehungsende unkompliziert ist.“, sagt sie und streicht sich das Haar aus dem Gesicht. Der Satz verklingt in der Dunkelheit. Der schwache Schimmer bunter Lampen wirft ein schummriges Licht auf den Klapptisch und spiegelt sich in den gekritzelten Parolen auf seiner Oberfläche wieder. Leise Gesprächsfetzen, getragen von einem Musikbett dringen zur Empore hinauf. Gelegentlich durchdringt ein Lachen die Nacht. Der Geruch der frischen Farbe auf der Wand hinter ihr liegt in der Luft und überdeckt den Tabakgeruch, der von unten hinaufsteigt. Ich lehne mich zurück. Die Bank unter mir knarrt, als wolle sie sich über die Verlagerung meines Gewichts beschweren. Ich spüre die Eisenstangen des Geländers in meinem Rücken, drücke ihn dagegen. Meine Erinnerungen schweifen in die Vergangenheit. Wir tauschen uns über die Erfahrungen mit Menschen aus, mit denen wir zusammen waren, sprechen über die Leichtigkeit mancher zwischenmenschlicher Beziehung. Mein Kopf arbeitet, während sie weiterredet. Die Beziehungen zu Menschen, die nicht auf irgendwelchen Zwängen  der Art  „eigentlich müsst ich mich mal wieder melden“ beruhen, waren auch für mich immer die angenehmsten. Das Wissen, dass die Person da ist stärkt mich. Das Wissen, dass wir vielleicht unterschiedliche Wege gehen, aber sich unsere Wege immer wieder kreuzen und wir nur manchmal bewusst ein vorzeitiges Kreuzen dieser Wege selber beeinflussen. Ein Telefonat, ein kurzes Treffen, Austausch über dieses jenes und vielleicht das Einholen eines Rates. Danach trennen sich die Wege wieder, im Wissen, dass das nächste Aufeinandertreffen wieder in der gleichen Vertrautheit stattfindet. Unkompliziert. Ohne Verpflichtungen, ohne Druck, aber mit Sicherheit  und Geborgenheit. Unter uns scharren die Füße eines Stuhls über das Pflaster. Ein Schatten huscht über die Wand hinter ihr.  Eine sanfte Brise lässt die Blätter der Kastanie im Hof rascheln. Es ist einer jener Abende im Freiraum ohne viel Bewegung, ohne die geschäftige Dynamik, die manchmal herrscht. Ein Abend in dem der politische Alltag vor dem Stahltor zum Hof endet. Das Bedürfnis nach Ablenkung und Kräfte sammeln überwiegt. Vertraute Gesichter, manches angespannt, manches mit einem milden Lächeln auf den Lippen umgibt mich. Sie erzeugen genau die Vertrautheit, die ich auch in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen vor dem Stahltor suche und so sehr schätze. Unser Gespräch schweift ab, dreht sich um Urlaubserinnerungen und Träume für die Zukunft. Träume vom Ausbruch. So überwiegt an diesem Abend der Wunsch nach Erholung und Wärme gegen die Kälte und Dunkelheit da draußen. Eigentlich ganz unkompliziert.

 

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