Deutschland macht krank!

Es ist im Moment wieder schwer zu ertragen. Vor wenigen Tagen wurde der Antifaschist Tim von den sächsischen Behörden zu 1 Jahr und 10 Monaten Knast verurteilt. Der Vorwurf? Schwerer Landsfriedensbruch. Er soll Demonstrant_innen gegen den größten Nazi-Aufmarsch in Europa  im Februar 2011 aufgefordert haben, eine Polizeikette zu durchbrechen. Im Verfahren wurde ihm der Satz „Kommt nach vorne.“  zur Last gelegt. Der von der Staatsanwaltschaft benannte Zeuge sagte allerdings aus das es Tim gar nicht gewesen war.

„Kommt nach vorne.“ ganz schön gefährlich, gerade zu bedrohlich –  oder?

Wie unglaublich staatsgefährdend klingen dann Aussagen wie:

  • „Vor allem bedarf es der Zivilcourage, um den Rechtsextremismus überall da zu bekämpfen, wo er sich im öffentlichen Raum zeigt“
  • „Wo ihr auftretet, werden wir euch im Wege stehen!“

Das erste Zitat stammt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass zweite von Bundespräsident Joachim Gauck. Lippenbekenntnisse? Wenn couragierte Menschen sich den Faschisten in den Weg stellen, wenn sie versuchen von deutschen Polizisten mit Wasserwerfern, Pferdestaffeln, Räumpanzern, Pfefferspray, Tränengasgranaten und Knüppeln geschützte Naziaufmärsche zu verhindern, dann ist es vorprogrammiert das sie mit Konsequenzen zu rechnen haben.

Wenn mutige Menschen auf dem platten Land sich gegen Rassisten und Faschisten in Dörfern erheben, Widerworte am Stammtisch geben und nicht hinnehmen wollen, dass ein Klima der Angst  entsteht, dann sind sie oft nicht nur im Visier ihrer Gegner, sondern gelten oft auch als Nestbeschmutzer, Störenfriede und Chaoten. Wenn sie sich dann auch noch erdreisten sich zu organisieren und ihren Widerstand an die Öffentlichkeit tragen, werden sie ausgegrenzt.

Beispiele dafür sind nicht nur das Nazi-Dorf Jamel, in dem auf dem Dorfplatz germanische Thing-Feste gefeiert werden und Schilder mit „frei sozial und national“ die Besucher begrüßen, sondern auch Tostedt bei Hamburg oder Barsinghausen bei Hannover.

Dort wurde jüngst der selbstverwaltete Jugendtreff „Falkenkeller“ geschlossen, weil laut Stadt und Polizei immer wieder Straftaten von den Besucher_innen ausgehen.

Was ist dort passiert?

Barsinghausen ist eine Kleinstadt in der Region Hannover, gelegen am  Berg Deister, umgeben von kleinen Dörfern. Die hier lebenden Jugendlichen erfahren schon früh, dass es schwer ist anders zu sein, alternativ zu denken und das zu äußern. In den umliegenden Dörfern wird Wert auf Tradition und Vereinsleben gelegt. Die Jugendarbeit wird hier von Feuerwehr und Schützenvereinen dominiert. Seit nunmehr 18 Jahren gab es zumindest in der Kernstadt einen Raum für Andersdenkende – den Falkenkeller. Hier konnte gefeiert, gespielt und entspannt werden. Immer wieder kam es auch zu Reibereien mit Anwohnern. Reibereien wie überall wo Menschen anders sind und das durch Kleidung, Wort und Tat auch zeigen. Das war bisher nie ein großes Problem und schnell wieder vergessen.

Seit etwa 2 Jahren nun treffen sich Jugendliche am Bahnhof in Barsinghausen, etwa 10 Fußminuten vom Falkenkeller entfernt. Auch Personen die der organisierten Nazi-Szene zuzurechnen sind, waren von Anfang an dabei. Über die Zeit hinweg entwickelte sich der Ort zu einem Treff- und Saufpunkt  für Nazis und Menschen die ihre Gesinnung teilen und dulden. Die Problematik: die alternativen Jugendlichen, Punks und emanzipatorisch denkenden Jugendlichen aus dem Umland müssen, sofern sie kein Auto haben über den Bahnhof anreisen, wenn sie zum Falkenkeller möchten. Immer wieder kam es dort zu Provokationen und Auseinandersetzungen. Presse und Staatsmacht sprachen dabei immer deutlich von „Besuchern des Falkenkellers“, verschwiegen aber den Hintergrund der Nazis am Bahnhof. Die Provokationen der Nazis wurden über die Zeit immer mehr. Graffittis „frei sozial und national“ wurden gesprayt und in Gruppen durch die Stadt streifende Faschisten waren keine Seltenheit. Immer wieder tauchten sie auch vor dem Falkenkeller auf.  Die Jugendlichen wiesen immer wieder auf die Problematik hin. Die Problematik wurde überhört, oder als „Konflikt zwischen rivalisierenden Jugendgruppen“ abgetan.

Der traurige und erschreckende Höhepunkt war im letzten Sommer. Nach einem Brandanschlag mit zwei Molotov-Cocktails auf den Eingangsbereich wurde der Keller von den Jugendlichen in Eigenregie renoviert. Am Tag der Wiedereröffnung kam es zu einem erneuten Angriff.

In den frühen Abendstunden führten Jugendliche der Kampagne „Nazis die Räume nehmen“ einen gut besuchten Info-Stand am Opernplatz in Hannover durch. Dabei informierten sie Jugendliche aus der Gothic-Szene über Neonazis. Auch die Polizei war vor Ort. Als die jugendlichen Antifaschist_innen den Stand abbauten und die Polizei bereits verschwunden war, tauchte eine Gruppe namentlich bekannter Nazis auf und griffen die Antifaschist_innen mit Flaschen, Schlagstöckern, Reizgas und einem Messer an. Der Angriff konnte abgewehrt und die Nazis in die Flucht geschlagen werden. Die von anderen Anwesenden gerufene Polizei stellte die Nazis, konnte aber keine Bewaffnung finden. Stattdessen nahmen sie eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen den Anmelder des Standes auf und lies die Nazis wieder laufen.

Am Abend in Barsinghausen wurde die Eröffnung des Falkenkellers gefeiert. Auch viele, sich als unpolitisch definierende Jugendliche feierten mit. Vor dem Eingang des Falkenkellers kam es zu einer Auseinandersetzung als eine Gruppe Nazis die Besucher angriff. Dabei setzten sie erneut Reizgas ein. Ein Antifaschist wurde mit dem zuvor bereits in Hannover benutzten Messer in die Seite gestochen. Die anrückende Polizei beleidigte mehrere Besucher des Falkenkellers und nahm ihre Personalien auf. Alts Täter und Opfer mit auf die Wache genommen wurden, drohte der Nazi dem Antifaschist vor Zeugen „Das nächste mal stech ich dich ab.“ Die anwesenden Cops erinnern sich an diese Worte nicht. Auch hier spielte die Staatsmacht die Ereignisse im nachhinein wieder herunter.

Dass die Besucher des Falkenkellers also der Polizei misstrauisch bis ablehnend gegenüber stehend ist durchaus verständlich. In der Silvesternacht sollen Besucher angeblich Polizisten beschimpft und mit Feuerwerk beworfen haben. Das Plenum des Falkenkellers distanzierte sich von diesen Vorkommnissen. Dennoch wurden die Schlüssel von der Stadt einkassiert und dieser Freiraum damit geschlossen.

Ich bin abgeschweift. Wer in Deutschland gegen Nazis ist, der hat mit der kalten Faust des Gesetzes zu rechnen. Kein Vorwurf ist zu absurd, kein Sachverhalt der nicht doch noch verdreht wird um den couragierten Menschen einen Strick daraus zu drehen. Dabei haben sie mit ihrem politischen Gegner, den Stammtischgesellschaften und den feige wegschauenden Mitmenschen schon genug Gegenwind.

Was macht das mit Menschen?

Wie fühlen sich Menschen die aus ihrer innersten Überzeugung und der Notwenigkeit heraus handeln und dann so heftig angefeindet und verfolgt werden? Es deprimiert, es macht Angst, es schüchtert ein, erzeugt Wut und macht krank!  Ganz besonders wenn das Paradox aus vorgeschobenem politischen Lob und staatlicher Repression deutlich wird.  Vor allem aber macht es kritisch und regt zum nachdenken an. Ist das ein Rechtsstaat in dem wir leben? Ist das eine Demokratie in dem jede_r gleich ist? Oft kommen Menschen nach solchen Erfahrungen zu einem Ergebnis: Nein!

Und dann beginnen sie nachzudenken und Alternativen zu entwickeln – und sie leben sie!

In diesem Sinne: Ein<3 für alle nachdenkenden und kritischen Menschen, für alle Antifaschist_innen und alternative Jugendliche!

Ihr könnt und verleugnen, ihr könnt uns schlagen und einsperren, aber das Feuer in unserem Herzen könnt ihr uns nie nehmen!

Alerta Antifacista! Wir bleiben alle!

 

 

 

 

 

 

 

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