Traumata. Erkennen. Benennen. Drüber reden.

„Ey, der Bulle hat die Latte voll an den Helm bekommen.“

„Ja! Alter, richtig übel fand ich’s als der Typ mit den Golfbällen ankam.“

Gespräche wie diese höre ich immer wieder. Manchmal ertappe ich mich auch dabei wie ich Teil davon bin. Die Freude an der Gewalt. Schadenfreude und das erinnern an Momente der Gegenwehr gegen einen Staat der uns immer wieder gewaltsam gegenüber tritt. Aber nur selten höre ich Gespräche wie diese:
„Als die Cops dich dann hochgerissen haben und du geschrien hast, das war schwer für mich.“ Immer wieder begegne ich auch Menschen in „der Szene“ oder darüber hinaus, die von den Erlebnissen auf Demonstrationen, Aktionen oder im Umgang mit der Staatsmacht traumatische Erfahrungen gemacht haben. Auch ich habe einige dieser Erfahrungen machen müssen. Ja, machen müssen. Das ist Teil des Problems.

Als politisch aktiver Mensch begibt eins sich immer wieder in Situationen die traumatisierend sein können. Die Motivationen dafür das zu tun können ganz unterschiedlich sein. Im Moment in dem eins sich in diese Situationen begibt erscheint es aber meist als „das Richtige.“

Das erste mal „gepfeffert“ werden, der Polizeiknüppel („Mehrzweckrettungsstock“ im Beamtendeutsch) der uns trifft, von den Cops durch die Straßen gejagt werden, Schmerzgriffe um Sitzblockaden aufzulösen. Dies sind Beispiele für direkt erlebte Gewalt. Aber auch Gewalt beobachten zu müssen kann traumatisierend sein. Eingeengt in einer Menschenmenge, während weiter vorne der Wasserwerfer die Leute zu Boden reißt, zu sehen wie Nazis auf Leute eintreten.

In der Medizin fallen die Auswirkungen so erlebter Gewalt in die „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“ ( (F43.) Klassifiziert nach ICD-10). Dort heißt es u.a.:

„ein außergewöhnlich belastendes Lebensereignis, das eine akute Belastungsreaktion hervorruft, oder eine besondere Veränderung im Leben, die zu einer anhaltend unangenehmen Situation geführt hat und eine Anpassungsstörung hervorruft.“

Und weiter

„entstehen die hier aufgeführten Störungen immer als direkte Folge der akuten schweren Belastung oder des kontinuierlichen Traumas. Das belastende Ereignis oder die andauernden, unangenehmen Umstände sind primäre und ausschlaggebende Kausalfaktoren, und die Störung wäre ohne ihre Einwirkung nicht entstanden.“

Das Trauma, oder einzelne körperliche und seelische Folgen, hängen also direkt mit der erlebten Situation zusammen.

Die weitere Einteilung erfolgt in drei Kategorien.

  1. Die akute Belastungsreaktion (F43.0): „Eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt.“

Die Medizin spricht hier von einer kurzzeitig auftretenden Reaktion auf ein Schockerlebnis, dass jede*n treffen kann. Als Symptome werden angegeben:

„Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von „Betäubung“, mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit. Diesem Zustand kann ein weiteres Sichzurückziehen aus der Umweltsituation folgen (…) oder aber ein Unruhezustand und Überaktivität (wie Fluchtreaktion oder Fugue). Vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie, Schwitzen und Erröten treten zumeist auf.“

Tachykardie = „Herzrasen“

Fugue = zwanghaftes Weglaufen

Was die Medizin hier mit vielen Worten umschreibt sind also unmittelbare Reaktionen auf das erlebte. Geistige Abwesenheit, nicht mehr wissen wo eins sich befindet, was um eins herum passiert, wer die Leute um eins herum sind, ausrasten, überreagieren oder panisches wegrennen. Außerdem schnell pochendes Herz und Schweißausbrüche. Nicht immer muss alles (zeitgleich)  auftreten. Kommen diese Reaktionen bekannt vor, wenn es auf der Straße kracht? Das muss nicht immer eine akute Belastungsstörung sein. Es kann aber sein.

Eine weitere Unterteilung erfolgt in

  1. die posttraumatische Belastungsstörung (F43.1). Diese „entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.“

Protrahiert = verlängert

Weiter heißt es:

„Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren“

Meint: Begünstigende Faktoren wie z.B. weitere psychische Erkrankungen die bereits bestehen können dafür sorgen das eins schneller traumatisiert ist oder den Verlauf des Traumata erschweren.

Zu den Symptomen heißt es weiter:

„typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft“

Vigilanz = „Aufmerksamkeit“

Eine weitere Unterteilung ist die Anpassungsstörung (F43.2), auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass körperliche und psychische Symptome direkt oder nach einem traumatischen Erlebnis auf einer Demo oder Aktion auftreten können. Diese Symptome sind nicht immer „von außen“ erkennbar und können die betreffende Person schwer belasten und einschränken. Umso wichtiger ist es, dass wir als Genoss*innen und Freunde auf uns und andere achten und uns gegenseitig zuhören und unterstützen.

Wir sollten über solche Erfahrungen miteinander reden, unsere Ängste ernst nehmen und gemeinsam einen Weg finden damit umzugehen, aufeinander aufpassen.

Aber nicht immer können und wollen Betroffene mit Freunden oder der Bezugsgruppe darüber reden. In einigen Städten gibt es daher neben den Demo-Sanitätern und dem Ermittlungsausschuss auch noch Gruppen die sich auf genau solche Erlebnisse spezialisiert haben. An die können sich Betroffene wenden. Eine Liste der aktiven Gruppen gibt es hier.

 

Weitere Infos gibt es außerdem hier

 

 

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