Hell scheint der Vollmond über den Dächern der Stadt und spiegelt sich in einer Pfütze. Leise Musik dringt aus dem offenen Fenster einer Kneipe. Der Kopf ist voller Gedanken, Emotionen und Wünsche. Wieder ein Abend mit vielen Diskussionen. Ein Abend mit der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Wir laufen durch die kalte, leere Stadt und fragen uns wo diese bessere Welt ist. Die Ideen dazu sind nicht neu. Schon so viele Menschen vor uns hatten den gleichen Traum, die gleichen Ideale und trotzdem sind die errungenen Siege nur kleine Schritte auf dem Weg zum Ziel.
Wo sind all die Menschen, die einst gegen die Elterngeneration aus der NS-Zeit rebellierten und eine Umwälzung der Gesellschaftsverhältnisse forderten? Wo sind die Menschen, die sich gegen den Bau der AKWs stellten, die vor einigen Jahrzehnten im Kampf für eine bessere Welt Häuser besetzten, Kommunen gründeten und ein Netzwerk aus Aktivisten schufen, dass dafür sorgte das Hunderttausende protestierten? Wo sind die Autonomen der letzten 30 Jahre geblieben, die sich ihre Freiräume zum Leben mit Mut, Kreativität und Militanz erkämpften? Wo sind die Antifas geblieben, die sich Anfang der 90er-Jahre vor Flüchtlingsheime stellten und ganze Regionen nazifrei hielten? Wo sind all diese Menschen geblieben? Nun, sie sind nicht einfach verschwunden. Das ist klar. Die prominenten Beispiele sitzen mittlerweile für bürgerliche Parteien im Parlament oder in den Vorständen von Großkonzernen. Sie sind Teil des „Schweinesystem“ geworden, dass sie einst ablehnten und bekämpften. Aber wo sind all die anderen? Manchmal treffen wir auf sie. Bei Aktionen oder in Bündnissen. Menschen für die mittlerweile andere Dinge wichtiger geworden sind, die sich aber noch immer als Teil der Bewegung, als Teil des Kampfes für ihre alten Ideale verstehen. Gelegentlich erkennen wir sie auch im Alltag an Bemerkungen, Blicken oder am konkreten handeln. Aber das ist nur ein kleiner Teil.
Wir laufen durch eine bekannte Straße in dieser Stadt. Einst wurden hier zahlreiche Häuser besetzt, tobten hier heftige Straßenschlachten. Das letzte übrig gebliebene besetzte Haus ist mittlerweile legalisiert und teilt sich das Außengelände mit einer KiTa und einem Stadtteilbüro. Die Fassaden, einst heruntergekommen und voller Transparente wurden renoviert. Hier haben Architekturbüros und eine hippe Partylocation Platz gefunden. Nur gelegentlich findet sich eine Parole an einer Häuserwand.
Was kann einen Menschen so verändern, dass er seine Ideale und Träume aufgibt und Teil des Systems, der Gesellschaft wird, die er ablehnt? Resignation? Familie? Ein gut bezahlter Job? Fragen, die sich aus unserer Position nur schwer beantworten lassen. Klar, Zweifel und Rückschläge kennen wir. Ohne sie wäre unser Kampf nicht der, der er ist. Zweifel regen uns immer wieder zum Überdenken unserer Ideen an. Aus den Rückschlägen lernen wir. Aber alles aufgeben? Das kommt nicht in Frage.
Wir verlassen die bekannte Straße und biegen ab. Schwarz gekleidete Gestalten huschen grüßend an uns vorbei. Wir schmunzeln. Noch sind wir da und nicht alleine, auch wenn viele fehlen.