Die ersten Sonnenstrahlen über den Dachspitzen kündigten den anbrechenden Tag an. Unten auf der Straße ließ sich von Zeit zu Zeit ein Mensch sehen. Müde Gesichter die aus den Haustüren kamen, sich zu ihren Autos oder Rädern schleppten. Nur schwach drang der Verkehrslärm der Straße hinauf, die ins Stadtzentrum führt. Der Rahmen des Dachbodenfensters knarrte, als ich mich hinauslehnte. Ein einzelner blau-silberner Wagen parkte mitten auf der Straße. Zwei uniformierte Personen waren ausgestiegen und deuteten die Straße hinab in meine Richtung. Wie unglaublich unauffällig. Ich zog den Kopf wieder zurück und wandte mich in Richtung Treppe. „Die ersten sind da.“ Eilige Schritte auf der Treppe. Ein Kopf erschien im Türrahmen. „Wie viele?“ Noch einmal warf ich einen vorsichtigen Blick hinaus. Ein weiterer Wagen parkte gerade ein. „ Zwei, aber es werden mehr.“ Der Kopf verschwand. „Ich sage den anderen Bescheid.“ Hörte ich eine leiser werdende Stimme von der Treppe. Mein Blick wanderte zu den Gegenständen auf den Dielen vor mir. Wie viel Zeit würde uns noch bleiben? Ein paar Minuten? Eine Stunde? Ich schlug die Plane vor mir auf dem Boden auf. Eine kleine Staubwolke stieg auf und kribbelte in meiner Nase. Die Partikel schimmerten im hereinfallenden Lichtstrahl. Wieder Schritte auf der Treppe. Die Tür wurde aufgestoßen. Menschen strömten in den Raum und griffen nach den Gegenständen. Einen Moment blickten wir uns an. „Bereit?“, fragte jemand. Wir tauschten ein letztes nicken. Kapuzen wurden aufgesetzt, Tücher hochgezogen. Das metallene Klappern der Dachluke hallte durch den Raum. Die Leiter ächzte als wir hinauskletterten. Wir verteilten uns auf dem Dach. In der kurzen Zeit waren immer mehr Fahrzeuge in der Straße aufgetaucht. Ich warf einen unsicheren Blick nach unten. Sie waren noch nicht an der Tür. „Sind die anderen wach?“, fragte ich während ich mich an einer Antenne festhielt. Eine Gestalt neben mir griff nach einem Funkgerät am Gürtel. „Sitzt ihr schon?“ Es rauschte kurz. „Wir machen es uns gerade bequem.“ Die Straße füllte sich jetzt immer schneller mit Uniformierten. Einige deuteten zu uns hinauf. Wir verknoteten die Seile und schoben die Plane bis zur Regenrinne. Von unten blitzte eine Kamera herauf. Am Ende der Straße hatten sich mehrere Uniformierte zu einer Traube geballt und kamen nun näher. In ihrer Mitte lief eine Person im Anzug. Die Traube blieb vor der Wohnungstür stehen und musterte den Hauseingang. „Jetzt?“, fragte ich. Die anderen nickten. Wir zogen an den Seilen. Die Plane rutschte vom Dach herunter und faltete sich auseinander. „Bleiberecht überall! Kein Mensch ist illegal!“, erhoben wir unsere Stimmen. Verdutzt starrten Gesichter aus der Traube zu uns hinauf. Zwei Bengalos entflammten und tauchten uns in blutrotes Licht. Dann öffnete sich die Tür und die Traube betrat das Gebäude. Wir kletterten die Leiter wieder herunter und liefen durch den Dachboden zur Treppe. Die anderen waren lautstark zu hören. „Abschiebung heißt Folter, Abschiebung heißt Mord – Widerstand an jedem Ort.“
Seiten
-
Neueste Beiträge
Neueste Kommentare
- #derGeschichte | Texte aus dem Auge des Sturms der Revolution! | WestSideBlogger bei #derGeschichte
- Unangepasst bei #derGeschichte
- Hamburg 2112 Nachlese | Ergenzingers Blog bei #HH2112 – Der Versuch einer Verarbeitung
- Ohnmacht. Zorn. Angst. | winterimfruehling bei #HH2112 – Der Versuch einer Verarbeitung
- #FCSP verstolpert das Jahresende gegen den KSC und der politisch gewollte Rechtsstaats-GAU bei #HH2112 | KleinerTods FC St. Pauli Blog bei #HH2112 – Der Versuch einer Verarbeitung
Archive
- Juli 2017
- Mai 2017
- Mai 2016
- November 2015
- Oktober 2015
- August 2015
- Mai 2015
- April 2015
- März 2015
- Februar 2015
- Januar 2015
- Dezember 2014
- November 2014
- August 2014
- Juli 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- April 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- September 2013
- August 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Oktober 2012
- Juni 2012
- April 2012
- Januar 2012
Kategorien
Meta