Manchmal reibt man sich morgens beim Zeitung lesen verdutzt die Augen.
Manchmal zieht man eine Grimasse und merkt dabei wie müde die Gesichtsmuskeln noch sind. Selten aber muss man so prusten, dass sich der heiße Tee oder Kaffee über die Zeitung ergießt. Der Donnerstag morgen war genau so ein Tag. Aber springen wir ein paar Stunden zurück.
Dienstag Abend, Zwischen Feierabendbier und Bett erreicht einen die Nachricht, dass das Refugeecamp geräumt wird. Also hin da!
Vor Ort im Regen Refugees die auf ihre zerstörten Zelte schauen, resignierte und wütende Supporter die am Rande des Platzes ohnmächtig das Geschehen verfolgen.
Dieses verdammt zynische Bild vor den Augen: Die zerstörten Zelte im Matsch, Polizisten hinter Flatterband und vor dem Mahnmal für die Opfer der einst innderdeutschen Grenze.
Dann kommen die Infos: Das Camp war wegen Gesprächen zwischen Refugees und Bezirk leer. Das hatte die Polizei genutzt. Die Versammlung sei nun beendet, bis 14 Uhr am kommenden Tag soll alles entsorgt werden, sonst passiere das kostenpflichtig durch die Stadtreinigung.
Der Mittwoch Morgen. Blick auf die Zeitung, Grimasse schneiden, die vor Zorn angespannten Gesichtsmuskeln spüren. Die Räumung sei mit der Genehmigung des Ordnungsdezernenten und des Oberbürgermeisters passiert. – Bitte was? Wusste der nichts von den Gesprächen, hat er das ignoriert? Warum wurde nicht der zuständige Bezirksbürgermeister gefragt, der während der Räumung mit den Refugees zusammensaß und später am Abend ebenso sprachlos vor dem zerstörten Camp stand?
Mittwoch Mittag schaut man dann am Camp vorbei. Schon von weite, sind Müllfahrzeuge und Polizeiwannen sichtbar. Auf dem Platz Refugees, die eine symbolische Sitzblockade auf dem Platz machen. Die Müllabfuhr muss auf den Befehl des Einsatzleiters warten. Bereitschaftspolizisten haben die Refugees umstellt und keifen jeden an, der es auch nur wagt eine Fußspitze auf die Grünfläche zu setzen. Irgendwann dann beginnt die Müllabfuhr trotz Blockade die Überreste des Camps abzuräumen. Wenn man in diesem Moment in die Gesichter der eingesetzten Beamten schaut, sieht man Freude. Freude darüber wie Zeltstangen und Protestschilder im Müllcontainer landen, oder Freude auf das nun kommende?
Kurze Zeit später beginnt die gewaltsame Räumung. Die Refugees werden einzeln hochgerissen, teilweise wird auf Arme und Beine eingeschlagen, Schmerzgriffe auf Nervenpunkte angewendet und schließlich werden die Refugees mal an Armen und Beinen getragen, mal wie Leichen über den Boden geschliffen, mal einfach vorwärts geprügelt. Im Griff von zwei Beamten sackt ein Refugee zusammen und rührt sich nicht mehr. Wie ein nasser Sack wird er am Straßenrand vor die Füße der Supporter geschmissen und liegen gelassen. Die Emotionen kochen hoch. Ein weiterer Refugee wird von Freunden gestützt vom Platz getragen. Er kann einen Fuß nicht mehr aufsetzen. Um den zusammnegesackten Refugee bildet sich eine Traube von Supportern. Angst und Hilfslosigkeit ist spürbar. Er reagiert nur mäßig auf Ansprache, immer wieder werden die Augen glasig, rollen in den Höhlen. Die Beamten drängen die Unterstützer durch laute Schreie und Schubsen immer weiter zurück. Die ersten stolpern über den am Boden liegenden. Andere versuchen einen Kreis zu bilden, ihn abzuschirmen. Man wird angeschrien: „Halten sie Abstand!“, während hnter einem Caféstühle stehen und ein bewusstloser Mensch liegt, wird geschubst. Dann liegt Pfefferspray in der Luft. Nicht mal einen Meter neben dem Ort wo Menschen versuchen einen Bewusstlosen zu versorgen, wo viele Menschen durch die Beamten auf engstem Raum eingekreist sind, setzen sie Pfefferspray ein. Zwischen dieser Szenerie steht ein geschockter Refugee mit weit aufgerissenen Augen, der seine noch filmende Kamera in der zitternden Hand hält. Man hört ein Gespräch von den Beamten: „Da liegt einer.“ Pause, Blick. „Na und?“ Dann wird weiter geschubst. Nur langsam beruhigt sich die Situation als der Rettungswagen da ist und auch die anderen Verletzten, teilweise mit Hilfe der Anwohner versorgt werden können.
Später dann, als die Schülerdemo der „Jugend gegen Rassismus“ ankommt, stehen den jungen Demonstranten meherere vermummte und behelmte Einheiten der Polizei auf der Grünfläche gegenüber. Mit dabei die Reiterstaffel, die einige schon kennen, die an Montag Abenden in der Stadt unterwegs sind, die bekannt dafür ist, gerne in Menschenmengen zu reiten. Aus dem Lautsprecher der Demonstration dringt Musik. Völlig zu recht müssen sich die Beamten die gerappten Zeilen des Songs „Bulle“ von „Boykott“ anhören.
Donnerstag Morgen. Der Kaffee dampft, die Schultern schmerzen von den Schlägen der Beamten am Vortag. Zeitung auf: „Christine Kastning (SPD), ist erfreut, dass unnötige Härte vermieden wurde und die Polizei einen ‚angenehmen Umgang‘ mit den Demonstranten fand.“ Der Kaffee spritzt auf die Zeitung.
Da bleibt einem dann nur zu hoffen, dass sich die jungen Menschen der „Jugend gegen Rassismus“ die Zeilen von Boykott (nicht zu sehr) eingeprägt haben.:
„Es gibt dieses schöne Wort Menschlichkeit, doch ich kenn‘ keinen Bullen, der in seinem Job menschlich bleibt und ja, jetzt fängt die Party erst an. Bei jeder Gelegenheit greifen wir an-“